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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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Jetzt war sich Sandra sicher, dass
sie sich nicht getäuscht hatte. »Damit gibt es genau zwei Möglichkeiten:
Entweder Federico Noni hat gelogen, als er sagte, der Mörder sei beim
Eintreffen der Polizei geflohen …«
    »… oder jemand hatte nach dem Mord ausreichend Zeit, den Tatort zu
präparieren.«
    »Diese Schuhabdrücke wurden absichtlich hinterlassen und können nur
eines bedeuten …«
    »… Figaro hat dieses Haus niemals verlassen.«

20 Uhr 38
    Er musste sich beeilen. Er hatte nicht die Zeit, ein
öffentliches Verkehrsmittel zu nehmen, deshalb hatte er ein Taxi angehalten. Er
ließ sich unweit des Hauses im Nuovo-Salario-Viertel absetzen und ging den Rest
zu Fuß.
    Dabei dachte er an die Worte der Polizistin zurück, an ihre
Intuition, die sie auf die Lösung gebracht hatte. Obwohl er hoffte, dass sie
sich täuschte, war er fest davon überzeugt, dass sich alles genauso zugetragen
hatte, wie sie es vermutete.
    Der Wind wehte Papier und Plastiktüten vor sich her, die um Marcus
herumwirbelten und ihn bis an sein Ziel begleiteten.
    Der Bürgersteig vor Federico Nonis Anwesen war leer. Im Haus brannte
keinerlei Licht. Marcus wartete ein paar Minuten, kroch tiefer in seinen
Regenmantel hinein und verschaffte sich dann Zutritt zum Haus.
    Alles war still. Zu still.
    Er beschloss, auf die Taschenlampe zu verzichten, und tastete sich
langsam vor.
    Keinerlei Geräusch, kein Ton.
    Marcus erreichte das Wohnzimmer. Die Rollläden waren heruntergelassen.
Er machte eine Lampe neben dem Sofa an, und das Erste, was ihm auffiel, war der
Rollstuhl, der unbenutzt mitten im Zimmer stand.
    Jetzt begriff er, wie sich alles abgespielt hatte. Seine Begabung
bestand darin, sich in die stumme Seele der Gegenstände einzufühlen und mit
ihren unsichtbaren Augen in die Vergangenheit zu schauen. Was er hier vorfand,
half ihm, den Satz in der anonymen Mail an Zini zu verstehen.
    Er ist nicht so wie du.
    Damit war Federico gemeint. Sie waren nicht beide behindert, der
junge Mann simulierte bloß.
    Aber wo war Figaro jetzt?
    So zurückgezogen Federico auch lebte – durch den Haupteingang konnte
er das Haus nicht unbeobachtet verlassen; das hätte einer der Nachbarn sicher
mitbekommen. Doch wie stahl er sich dann unbemerkt davon, um Jagd auf seine
Opfer zu machen?
    Marcus setzte die Durchsuchung fort und näherte sich der Treppe zum
oberen Stockwerk. Vor einer Tür unter der Treppe blieb er stehen. Er öffnete
sie, sie führte in einen dunklen Vorraum. Er trat ein und stieß gegen etwas,
das von der niedrigen Decke hing. Es war eine Lampe. Er streckte die Hand aus,
zog an der von der Lampe herabhängenden Schnur und machte sie an.
    Er befand sich in einer schmalen Abstellkammer, die nach
Mottenkugeln roch. Hier wurde, wie es aussah, an zwei Kleiderstangen alte Garderobe
aufbewahrt. Links hingen die Männer-, rechts die Frauensachen. Eine unheimliche
Abfolge leerer Hüllen. Wahrscheinlich hatten sie den verstorbenen Eltern
gehört, dachte Marcus. Es gab auch ein Schuhregal mit jeder Menge
aufeinandergestapelter Schachteln.
    Auf dem Boden fiel ihm ein blaues Kleid und eines mit roten Blumen
auf, die von ihren jeweiligen Bügeln gerutscht waren. Vielleicht hatte jemand
sie im Vorbeigehen gestreift. Marcus schob die Bügel zur Seite und entdeckte
eine Tür.
    Die Abstellkammer war also ein Durchgangsraum!
    Marcus öffnete die Tür, zückte seine Taschenlampe und schaltete sie
ein. Er beleuchtete einen kurzen Flur mit Wänden, voller Schimmelflecken, von
denen der Putz bröckelte. Er ging geradeaus weiter, bis er einen Raum
erreichte, in dem sich Kisten und alte Möbel türmten. Der Lichtkegel fiel auf
einen Gegenstand auf einem Tisch.
    Es war ein Heft.
    Marcus griff danach und blätterte es durch. Die Zeichnungen auf den
ersten Seiten stammten von einem Kind. Sie zeigten immer das Gleiche: Frauen,
Wunden, Blut. Und eine Schere.
    Ein Blatt fehlte, es war eindeutig herausgerissen worden. Marcus war
klar, dass es die makabre Kinderzeichnung auf Jeremiah Smiths Dachboden war.
Der Kreis hatte sich geschlossen.
    Auf den nächsten Seiten sah man, dass sich der Inhalt des Heftes
nicht nur auf Kinderzeichnungen beschränkte. Es folgten gekonntere,
detailliertere Bilder, die im Lauf der Zeit immer perfekter wurden. Die Frauen
waren besser ausgearbeitet, die Wunden wirkten realistischer und grausamer: ein
Beweis dafür, dass sich die kranken Phantasien mit dem Monster weiterentwickelt
hatten.
    Federico Noni hatte schon immer vom Morden geträumt,

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