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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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allerdings ohne
es in die Tat umzusetzen. Wahrscheinlich hatte er zu viel Angst gehabt: Angst
davor, im Gefängnis zu landen oder als das Monster wahrgenommen zu werden, das
er war. Er hatte die Fassade des ehrgeizigen Sportlers, des sympathischen
jungen Mannes und des netten Bruders aufrechterhalten. Auch vor sich selbst.
    Bis zu seinem Motorradunfall.
    Danach waren sämtliche Hemmungen gefallen. Erst kurz zuvor hatte
Marcus von der Polizistin erfahren, dass die Ärzte an eine vollständige
Genesung Federico Nonis geglaubt hatten. Doch dann hatte er die Physiotherapie
abgebrochen.
    Die Behinderung war die ideale Tarnung. Endlich konnte er seine
wahre Natur ausleben.
    Als Marcus auf der letzten Seite des Heftes angelangt war, entdeckte
er einen alten Zeitungsausschnitt. Er faltete ihn auseinander. Er war über ein
Jahr alt und berichtete vom dritten Überfall Figaros. Auf den Artikel hatte
jemand mit schwarzem Stift geschrieben: »Ich weiß alles.«
    Giorgia!, dachte Marcus sofort. Deshalb hat er sie umgebracht! Und
dabei entdeckt, dass ihm sein neues Spiel noch viel besser gefällt.
    Die Gewalttaten hatten kurz nach dem Unfall eingesetzt. Die ersten
drei hatten ihm geholfen, sich vorzubereiten. Sie waren eine Art Übung, ein
Training, auch wenn das Federico noch gar nicht bewusst war. Eine ganz andere
Befriedigung erwartete ihn, eine die noch mehr Erfüllung versprach: Mord.
    Der Mord an seiner Schwester war nicht geplant, aber notwendig
gewesen. Giorgia hatte alles herausgefunden und war zu einem Hindernis, ja,
einer Gefahr geworden. Federico konnte nicht zulassen, dass sie seine kostbare
Tarnung auffliegen ließ. Deshalb hatte er sie getötet. Doch es hatte ihm auch
geholfen, zu verstehen.
    Jemandem das Leben zu nehmen war viel befriedigender, als ihn
einfach nur anzugreifen.
    Deshalb hatte er sich danach nicht mehr bremsen können. Die Leiche
im Park Villa Glori war der Beweis dafür. Aber er war vorsichtiger vorgegangen,
hatte aus seinen Erfahrungen gelernt und das Mädchen vergraben.
    Federico Noni hatte alle an der Nase herumgeführt. Angefangen bei
dem alten, erblindenden Polizisten. Das Geständnis eines Trittbrettfahrers
hatte ihm geholfen, ungeschoren davonzukommen. Den Rest hatten die schlampigen
Ermittlungen erledigt, die auf dem Vorurteil beruhten, dass man dem Täter das
Monster ansah.
    Marcus ließ das Heft sinken, weil er hinter einer Kommode etwas
entdeckt hatte. Eine Eisentür. Er ging auf sie zu und öffnete sie.
    Ein Windstoß drang ins Zimmer. Er sah nach draußen und stellte fest,
dass es sich um einen weiteren Ausgang handelte, der auf eine verlassene
Seitenstraße hinausging. Wenn hier jemand aus- und einging, bekam das niemand
mit. Wahrscheinlich war der Ausgang lange nicht mehr genutzt worden, aber für
Federico Nonis Zwecke war er perfekt.
    Wo war der Figaro jetzt? Wohin war er gegangen? Marcus dröhnte der
Kopf.
    Hastig zog Marcus die Tür zu und ging zurück ins Wohnzimmer, das er
hastig zu durchwühlen begann. Dass er Spuren hinterließ, war ihm egal. Er hatte
nur Angst, zu spät zu kommen.
    Er stützte sich auf den Rollstuhl. Seitlich gab es eine Tasche. Er
steckte die Hand hinein und fand ein Handy.
    Er ist schlau!, dachte er. Er hat es hiergelassen, weil er weiß,
dass es die Polizei auch im ausgeschalteten Zustand zu ihm führen kann.
    Das bekräftigte die Vermutung, dass Federico Noni das Haus verlassen
hatte, um erneut zuzuschlagen.
    Marcus kontrollierte die letzten Anrufe. Es gab einen eingehenden
Anruf, der etwa anderthalb Stunden zurücklag. Er kannte die Nummer, weil er sie
erst am Nachmittag gewählt hatte.
    Zini!, dachte er.
    Er drückte die Wiederwahltaste und wartete darauf, dass der blinde
Polizist dranging. Doch das Klingeln verhallte ohne Reaktion. Marcus legte auf.
Von einer furchtbaren Vorahnung erfasst, verließ er fluchtartig das Haus.

21 Uhr 34
    Während Sandra sich im Badezimmerspiegel des
Interpol-Gästehauses betrachtete, musste sie wieder daran denken, was nach
ihrem Treffen mit dem Pönitenziar passiert war.
    Sie war fast eine Stunde ziellos durch Rom gelaufen, um ihren
Gedanken nachzuhängen. Dass das nach dem Scharfschützenangriff vom Vormittag
hochgefährlich war, hatte sie verdrängt. Solange sie unter Menschen war, fühlte
sie sich sicher. Anschließend war sie zu Schalber zurückgekehrt. Sie hatte vor
der Tür kurz gezögert, bevor sie anklopfte, weil sie die Reaktion des Beamten –
seine Vorwürfe, dass sie so lange weggeblieben war – möglichst

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