Der Seelensammler
lange
hinausschieben wollte. Aber schon beim Öffnen der Tür war ihm die Erleichterung
anzusehen. Sie war gerührt. Nie hätte sie gedacht, dass er sich wirklich Sorgen
um sie machte.
»Gott sei Dank ist dir nichts passiert!« Das war alles, was er
sagte.
Mehr nicht. Dabei hatte sie mit einer Million Fragen gerechnet! Doch
Schalber gab sich mit einer knappen Schilderung ihres Besuchs bei Zini
zufrieden. Sandra gab ihm die Figaro-Akte des alten Polizisten, und der
Interpolbeamte suchte darin nach etwas, das sie auf die Spur der Pönitenziare
bringen könnte.
Er fragte sie nicht nach dem Grund für ihre Verspätung. Stattdessen
teilte er ihr mit, dass das Abendessen gleich fertig sei. Anschließend ging er
in die Küche und machte eine Flasche Wein auf.
Sandra drehte im Badezimmer den Wasserhahn auf, zum sich die Hände
zu waschen, und musterte sich ausgiebig im Spiegel. Sie hatte tiefe Augenringe
und aufgeplatzte Lippen, weil sie die Angewohnheit hatte, darauf herumzukauen,
wenn sie nervös war. Sie fuhr sich mit den Fingern durch ihr zerzaustes Haar
und suchte im Badezimmerschränkchen nach einem Kamm. Sie fand eine Bürste, in
der sich Frauenhaare verfangen hatten: Sie waren lang und kastanienbraun. Ihr
fiel der BH wieder ein, den sie am Morgen auf der Sessellehne im Schlafzimmer
gesehen hatte. Schalber hatte es damit erklärt, dass die Wohnung eine
Durchgangsstation sei. Trotzdem war ihr nicht entgangen, wie verlegen er
gewesen war. Mit Sicherheit wusste er ganz genau, von wem das Wäschestück
stammte. Dabei ging es sie nicht das Geringste an, wenn in dem Bett, in dem sie
aufgewacht war, eine andere gelegen hatte. Vielleicht sogar nur wenige Stunden
zuvor. Viel mehr gab ihr zu denken, dass Schalber sich gerechtfertigt hatte.
Als ob es sie auch nur im Enferntesten interessierte!
In diesem Moment kam sie sich vor wie ein Vollidiot.
Sie war neidisch, anders konnte sie sich das nicht erklären. Der
Gedanke, dass andere Sex hatten, war ihr unerträglich. Gleichzeitig hatte es
etwas Befreiendes, dieses Wort auszusprechen, wenn auch nur im Stillen: Sex!,
wiederholte sie. Vielleicht, weil es ihr verwehrt war. Auch wenn im Grunde
nichts dagegen sprach, wusste sie, dass es so war.
Erneut warf sie sich vor, dass sie ihre Zeit mit solch belanglosen
Überlegungen verschwendete. Sie musste praktisch denken! Sie war schon viel zu
lange im Bad – was würde Schalber denken? Sie musste sich beeilen.
Sie hatte dem Priester ein Versprechen gegeben und würde es auch
halten: Wenn er ihr half, Davids Mörder zu finden, würde sie sämtliche Spuren
vernichten, die zu den Pönitenziaren führten.
Und bis es so weit war, war es das Beste, sie an einem sicheren Ort
zu verstecken.
Sie drehte sich zu ihrer Tasche um, die sie mit ins Bad genommen und
auf den Klodeckel gestellt hatte. Schnell griff sie nach ihrem Handy und sah
nach, ob noch genug Platz auf ihrer Speicherkarte war. Die Schnappschüsse aus
der Kapelle des heiligen Raimund von Peñafort waren noch darauf. Sie wollte sie
bereits löschen, änderte ihre Meinung jedoch.
Dort hatte jemand versucht, sie zu töten. Diese Bilder konnten ihr
vielleicht dabei helfen, den Attentäter zu ermitteln.
Dann nahm sie die Leica-Fotos aus der Handtasche, auch das von dem
Priester mit der Narbe an der Schläfe, das sie Schalber vorenthalten hatte. Sie
legte sie auf die Konsole und fotografierte sie nacheinander mit dem Handy ab.
Es konnte nicht schaden, eine Kopie davon zu besitzen, nur so für alle Fälle.
Sie griff zu einer durchsichtigen Plastikhülle, die sich luftdicht verschließen
ließ, und steckte die fünf Fotos hinein. Anschließend hob sie den Deckel des
Toilettenspülkastens und versenkte sie darin.
Seit zehn Minuten saß sie nun schon in der kleinen Küche
an dem gedeckten Tisch und sah zu, wie sich Schalber am Herd zu schaffen
machte. Er hatte die Hemdsärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt, eine Schürze
umgebunden und ein Geschirrtuch über der Schulter liegen. Er pfiff vor sich
hin, drehte sich um und riss sie aus ihren Gedanken: »Risotto mit Balsamicoessig,
Meerbarben in Alufolie, dazu ein Salat aus Radicchio und Apfelspalten!«,
verkündete er. »Ich hoffe, du magst das!«
»Aber natürlich!«, sagte sie verwirrt. Am Morgen hatte er ihr Rührei
gemacht, was ja irgendwie noch jeder hinkriegte. Dieses Menü jedoch ließ auf
eine Leidenschaft für gutes Essen schließen. Sandra staunte.
»Du wirst heute Nacht hier schlafen!« Diese Bemerkung duldete
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