Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
schmachtenden Fernando am Bahnhof von Biella zurücklassend, setzten sie sich am nächsten Mittag in den Zug und fuhren zurück nach Hamburg.
Kapitel 20
Alles, was uns widerfährt, hinterläßt etwas in uns: eine Erinnerung, eine Erkenntnis, ein Stück Angst, ein wenig Glück. Oft verschließen wir Erlebnisse in unserem Inneren, bewußt oder unbewußt, vergessen sie einfach, verdrängen sie. Doch sie sind niemals verloren. Irgendwann einmal taucht alles wieder auf. Es nützt uns, es schockiert uns, es ist uns gleichgültig oder läßt uns nachträglich begreifen.
Am Vorabend ihrer ersten Modenschau wurde Isabelle auf einmal klar, daß es ihre Pariser Zeit gewesen war, die verhaßte, geliebte, schwierige Zeit in Paris, die sie am allermeisten geprägt hatte und die am stärksten alle Entscheidungen der vergangenen Monate beeinflußt hatte. Nach langen, harten Tagen und Nächten war sie zum erstenmal allein; allein, nicht einsam; allein in ihrer schönen Wohnung, die inzwischen ganz nach ihrem Geschmack eingerichtet war und ihr ein Gefühl von Zufriedenheit und Glück gab. Isabelle war nervös. Angespanntheit und Vorfreude mischten sich. Morgen würde sich erweisen, ob die Erwartungen, die man in sie gesetzt hatte, berechtigt gewesen waren. Morgen würde sich zeigen, ob die Hektik und die Mühen der letzten Wochen sich gelohnt hatten.
Um sich zu entspannen, ließ sie sich ein Bad ein. Das Telefon, das neuerdings auch zu Hause unablässig klingelte, hatte sie ausgehängt, um endlich einmal ungestört zu sein. Sie goß einen Schuß nach Zitrone und Pfeffer duftendes Badeöl in den Strahl heißen Wassers und begann sich auszuziehen. Während sie das tat, ging sie ins Wohnzimmer und machte die Flügel der Balkontür weit auf. Es war ein sanfter, fast noch warmer Spätherbstabend, und die Rosen, die wie alles, was sie gepflanzt hatte, prächtig angewachsen waren, verströmten einen süßen Duft. Isabelle zog ihn tief ein. Dann schlüpfte sie aus ihrem Hemd und warf es im Gehen aufs Sofa. Wieder im Badezimmer angekommen, entledigte sie sich ihrer Wäsche, drehte den Wasserhahn zu und setzte sich in die Wanne.
Die Wärme des parfümierten Wassers tat ihr gut. Sie machte die Augen zu und lehnte ihren Kopf gegen den gekachelten Rand. Noch einmal überdachte sie den Ablauf des morgigen Tages. Beginn der Modenschau: 16 Uhr. Dauer: eine Stunde. Anschließend Cocktail. Alle zweihundert Einladungen waren raus. Kaum eine Absage. Große Neugierde. Eine Hamburger Tageszeitung hatte im voraus über das Ereignis berichtet.
Isabelle hatte sich dagegen entschieden, eine Show in eigenen Räumen zu machen. Von allen Ritualen, die Puppe Mandel immer gepflegt hatte, wollte sie sich so weit wie möglich entfernen. Sie wollte nicht ihre Nachfolgerin sein. Sie wollte Belle Corthen sein. Das neue Wunderkind der Mode. Reichlich Überzeugungskraft hatte es sie gekostet, ihren Geschäftspartnern – Carl und Peter – und den Banken klarzumachen, daß auch der Rahmen dieses ersten Auftritts entscheidend sei und daß sie unbedingt im noblen Atlantic-Hotel an der Alster ihre erste Kollektion präsentieren wollte. Am Ende hatten die Männer ihr zugestimmt. Aber der Geldtopf war leer, die Situation mehr als angespannt. Nichts durfte schiefgehen. Alles konnte schiefgehen. Isabelle plätscherte mit der Hand im Wasser und verscheuchte ihre Sorgen.
Sie hatte den kleinen Festsaal des Hotels vollständig mit weißen Stoffbahnen ausschlagen lassen. Es sollte ein Raum wie aus einem Traum sein, dem Sommernachtstraum. Die Stühle, in Reihen entlang dem Laufsteg aufgestellt, waren mit weißen Hussen überzogen. Ein Teil des Raums war mit weißen Vorhängen abgetrennt, auf die dutzendfach und in silbernen Buchstaben ihr Name gedruckt war; dahinter befand sich der Bereich, wo die Models sich umziehen sollten und der Discjockey seine Anlage aufgebaut hatte.
Patrizia und sie hatten nur weiche Swing-Musik ausgesucht; Melodien von Gershwin und Cole Porter; Big Bands, die Titel wie Stormy Weather oder New York, New York spielten; Frank Sinatra, der Laura oder das Girl von Ipanema besang; Al Martino gehörte ebenso zur Auswahl wie Dean Martin, Charles Aznavour oder Edith Piaf, eine Remineszenz an Paris.
Paris! Isabelle wünschte sich für die Show jene Atmosphäre von weltläufigem, lässigem Leben, die sie selbst so geliebt und genossen hatte; Charme, Eleganz, Nostalgie und Vitalität dieser Stadt sollten auch in ihrer Kollektion auftauchen. Sie mußte lächeln.
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