Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
manchmal zur selben Zeit am selben Punkt waren, aber niemals gemeinsam ihre Reise fortsetzten.
Einmal – Isabelle bereitete sich gerade auf eine London-Reise vor – tauchte er überraschend bei ihr zu Hause auf. Er hatte einen lächerlich häßlichen Strauß mit Nizzanelken in der Hand (sie mußte an Königspudel denken, an Frauen mit Bienenkorbfrisuren und an Operettenmusik) und eine lauwarme Flasche Sekt und strahlte sie an: «Überraschung!»
«Jon! Ich hab überhaupt keine Zeit.»
«Du hast nie Zeit.»
«Stimmt. Komm rein!»
Während sie ihre Papiere zusammenraffte und überlegte, was sie für den Kurztrip zu den Modenschauen in Englands Hauptstadt benötigte, stellte er die Blumen in die Vase, goß den Sekt in Wassergläser («Ich habe auch richtige Gläser!» – «Das sind doch richtige Gläser, oder?») und erzählte ihr ein paar Geschichten aus dem Krankenhaus, in dem er gerade als Assistenzarzt arbeitete. Erst vor kurzem hatte er seine Approbation erhalten. Als sie davon erfuhr, hatte Isabelle ihm ein Paar kostbare goldene Manschettenknöpfe geschickt, sich hinterher aber dafür geschämt, weil sie fand – wie Hellen übrigens auch –, es sei keine großzügige Geste gewesen, sondern ein großkotziges Geschenk. Jon jedoch hütete die Manschettenknöpfe wie einen Schatz und trug sie, wann immer es ging. Auch an diesem Abend, wie er ihr zeigte, indem er seine Ärmel hochhielt.
«Ich hasse packen!» jammerte Isabelle und trat gegen ihren Koffer, der mitten im Wohnzimmer stand.
«Komm, dann mach ich es», erklärte er lapidar.
«Du? Quatsch!»
«Aber logisch. Ich mag das.» Er schmunzelte. «Kommt meiner Pingeligkeit entgegen. Ich bin der beste Kofferpacker in Europa.»
Als sie ihm im Schlafzimmer zusah, mußte sie ihm recht geben: Er verstaute das Doppelte von dem, was sie in den Koffer hineinbekommen hätte.
Von solchen kleinen Hilfeleistungen gab es im Laufe der Zeit eine Vielzahl. Mal brachte er ihr von einem Besuch in Luisendorf eine Schachtel braune Kuchen aus der Bäckerei Voss mit, die sie so gern mochte, mal organisierte er ihr ein Päckchen Schlaftabletten, die verschreibungspflichtig und damit normalerweise nur über einen zeitraubenden Arztbesuch erhältlich waren. Mal gab er ihr eine Adresse, die sie versust hatte, von einem alten gemeinsamen Schulfreund, bei dem sich Isabelle schriftlich für seine Gratulation bedanken wollte, mal reparierte er bei einem seiner überfallartigen Besuche ihren Wasserhahn, während sie ihm Brote schmierte.
«Wir wären doch ein ideales Ehepaar geworden!» sagte sie.
Er ließ sich von ihr einen Schraubenschlüssel geben. «Tja. Du hast es ja nicht anders gewollt.»
«Wieso? Du hast geheiratet!»
«Ohne dich zu fragen!»
Sie lachte. «Ohne mich zu fragen, ja!»
«Weil mir klar war, daß ich keine Chance hatte. Du wolltest doch Karriere machen.»
Es blieb bei diesen seltenen Momenten der Zweisamkeit, den kleinen Zwischenspielen, hinter denen sich große Gefühle versteckten, den episodenhaften Auftritten Jons in Isabelles Leben. Später ließ sich das für beide nur schwer erklären und noch weniger nachvollziehen – jeder ging seiner Wege. Jon konzentrierte sich auf seine anstrengende Arbeit als Assistenzarzt, Isabelle wurde von ihrer Karriere mitgerissen.
Einen großen Anteil an der Erfolgsgeschichte hatte die Presse. Isabelle kam bei den Journalisten gut an. Patrizia hatte ihr geraten, sich eine Vita zuzulegen, eine Biographie, die, mit Modefotos ergänzt, als Pressemappe auf Anfrage an die Redaktionen verschickt wurde und die sie bei Interviews auf Knopfdruck parat hatte.
Anfänglich quälten sie Skrupel. «Ich kann denen doch nicht die Hucke vollügen!» sagte sie, als sie sich mit Patrizia eines Abends über deren Vorschläge zu diesem Thema beugte.
«Was willst du ihnen erzählen? Daß du aus der Provinz kommst, kein Abitur hast, Schneiderin bist, nicht mal auf einer Fachhochschule warst und nur dank deiner Mäzene hochgekommen bist?» Patrizia sah kiebig über den Rand ihrer Tigerbrille hinweg.
«Also bitte! Vogel, oder was?»
«Sag ich ja. Das geht nicht. Deshalb habe ich mal vorformuliert ...» Sie nahm das Manuskript von Isabelles Schreibtisch hoch und las vor: «Belle Corthen, Tochter einer Deutschen und eines französischen Malers ...»
Isabelle lachte laut auf.
«... eines französischen Malers, der starb, als sie dreizehn Jahre alt war, wuchs im holsteinischen Luisendorf auf, ehe sie nach Hamburg kam. Dort absolvierte sie
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