Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Bett.
Isabelle hatte nicht geschlafen. Sie hatte in ihrem Zimmer nebenan wach gelegen und jedes Wort gehört. Auf der Beerdigung ihres Vaters hatte sie nicht geweint. Im Gegenteil. Überrascht und fasziniert hatte sie die Erwachsenen um sich herum beobachtet, Männer wie Frauen, Verwandte wie Bekannte, die wie verwandelt gewesen waren. Mit starrem Blick, schluchzend, vom Kummer geschüttelt, ergriffen Beileid aussprechend, immer und immer wieder dieselben Bewegungen, Regungen, Worte. Es war fast komisch für Isabelle gewesen, und sie vergaß darüber, daß ihr Vater sie und ihre Mutter für immer verlassen hatte. Doch jetzt, nachdem sie das Gespräch mitbekommen hatte, wurde ihr alles schmerzhaft bewußt: daß nichts im Leben so bleibt, wie es ist, und mag man es sich auch noch so sehr wünschen, und mag es auch noch so schön sein. Alles änderte sich.
Isabelle weinte.
Kapitel 3
Im Nu verging die Zeit, der Sommer war da, der August kam und mit ihm der Abschied von Luisendorf. Ida Corthen hatte sich bei Charlotte Trakenberg vorgestellt und, nachdem man sich über das Gehalt – auf der Basis eines Stundenlohns von knapp drei Mark geeinigt hatte, einen Anstellungsvertrag als Haushälterin bekommen. Die Sparkasse in Albershude, wo die Familie Corthen ihr Konto hatte, war Ida sehr entgegengekommen, hatte in Anbetracht ihrer künftigen Festanstellung den Kredit aufgestockt und verlängert. Damit war Ida ihrer größten Sorgen ledig.
Mit der Familie von Lenkwitz war sie sich auch schnell einig. Der Pachtvertrag wurde aufgelöst und das Mietverhältnis beendet. Ein Sohn der Familie, der in Berlin Kunst studierte, wollte das Häuschen als Sommerfrische und Atelier nutzen. Er war ein Gammler, wie «die Zeitung» überall herumerzählte, er lebte in ungeordneten Verhältnissen, malte schlimmer als Picasso und trug lange Haare, etwas, das man bis dahin in Luisendorf noch nicht gesehen hatte. Ja, es waren neue Zeiten angebrochen.
Alle waren traurig, daß Ida mit ihrer Tochter fortziehen würde, doch jedem war klar, daß es nicht anders ging. Die Gemeinschaft half, wo sie konnte. Die Viecher, die hinter dem Haus am Ende des Gartenweges, wo die Tomatensträucher standen, in einem kleinen, eingezäunten Gehege gegackert, geschnattert, gepickt, gekräht, gelegt und gebrütet hatten, die Hühner und Enten, hatte Bauer Fenske ihnen abgekauft. Bei der letzten Ernte hatten die Nachbarinnen mit angepackt. Aus Erdbeeren war Marmelade geworden, aus Johannisbeeren rotes Gelee, gelbe Kirschen schwammen im Zuckerwasser in Einweckgläsern; die schönen, dunklen Schattenmorellen waren entsaftet und in Flaschen mit orangeroten Kunststoffverschlüssen abgefüllt; grüne Bohnen ruhten, dünngehobelt und eingesalzen, unter Glasfolie in Tonkruken; kurz, Ida Corthen, die ihr Leben lang Wert auf Vorratshaltung gelegt hatte, konnte zufrieden auf die Holzkiepen schauen, in denen die Gefäße zum Transport standen, und auf den Winter warten, wie kalt und karg er in Hamburg auch immer sein würde.
Beim Papierkram hatte Fritz Ida geholfen, als Gastwirt kannte er sich da aus. «Die Zeitung» war beim Kellerentmisten und Sachensortieren zur Stelle gewesen – mehr mit klugen Ratschlägen als mit Tatkraft, wie Ida fand. Auch Jon hatte sich, wann immer er konnte, nützlich gemacht. Selbst Doktor Eggers war vorbeigekommen. Kurz, es war ein Machen und Tun und Kommen und Gehen, schlimmer als in jedem Taubenschlag, und am Ende wurde sogar ein Abschiedsfest für Ida und Isabelle gegeben. In Schmidts Gasthof erschien das halbe Dorf, und es flossen nicht nur Bier und Schnäpse, sondern auch Tränen.
Eigentlich hatte Ida am ersten August anfangen wollen, aber weil man in Hamburg, wie Gretel ihr erklärte, wohl aus Gründen des Aberglaubens eine neue Stelle nie an einem Montag beginnt und diese Usance auch der Kaufmannsfamilie Trakenberg durchaus vertraut war, hatte man sich auf den zweiten August als Vertragsbeginn geeinigt. Ida hatte sich deshalb entschieden, erst «auf den letzten Drücker», wie sie sagte, umzuziehen. Schließlich gab es eine Menge und noch mehr zu erledigen.
So kam es, daß sie an diesem ersten Montag im August schon morgens um halb fünf aufgestanden war. Um halb neun wollte Fritz Schmidt mit seinem Volkswagentransporter vorfahren, die letzten Kartons und Koffer einladen und Ida und Isabelle nach Hamburg bringen.
Nachdem sie sich gewaschen und angezogen hatte, ging Ida als erstes in die Küche und setzte den Wasserkessel auf, um Kaffee
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