Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
eine Quelle erreicht. Es kam ihr vor, als habe sie nach langen, harten Nächten der Arbeit endlich schlafen können und sei erfrischt erwacht. Als käme sie nach langer Reise endlich an, am ersehnten Ziel. Die Leute jubelten. Das Hochzeitskleid, das stets als letztes einer Schau gezeigt wird, aus mauvefarbenem Organza, üppig geschnitten und doch federleicht, besetzt mit Dutzenden weißer Seerosen, brachte den Saal zum Toben. Das Licht ging an. Die Leute sprangen auf.
Die Models lachten und klatschten in die Hände. Isabelle wurde von ihnen mitgerissen, nach draußen gezogen, auf den Laufsteg, wo die Mädchen sie in ihren Kreis aufnahmen, ihr Beifall spendeten, sie küßten, ihr Blumen überreichten. Bravo! scholl es zu ihr hoch. Bravo, Belle, bravo! Schnell lief Isabelle nach vorn, verbeugte sich, kam zurück, verneigte sich noch einmal kurz nach links und rechts, winkte und sah eben noch, als sie fast schon wieder hinter den Vorhang gerannt war, aus dem Augenwinkel ganz dicht an der Bühne, in der ersten Reihe – Christin Laroche.
Christin, die alte Freundin, die alte Feindin. Irritiert blieb Belle einen Moment stehen. Dann schüttelte sie sich wie ein nasser Hund. Patrizia kam zu ihr, umarmte sie, sagte ihr ein paar liebevolle, bestärkende Worte. Isabelle fühlte sich wie im Rausch. Hände streckten sich ihr entgegen. Jemand reichte ihr ein Glas kalten Champagner. Die Leute verließen den Saal. Gäste, Verehrer, Freunde kamen hinter die Bühne, um ihr zu gratulieren. Ida und Gretel, von Patrizia durch das Gewühl gelenkt, standen plötzlich vor ihr.
«Mama!»
«Kind! Du hast mir eine große Freude gemacht.»
«Danke.»
Gretel zwickte sie, wie so oft, in die Wange, strich sich die Hände am Kleid ab, ehe sie Isabelles Gesicht umfaßte, sich auf die Zehenspitzen stellte und sie platsch! auf den Mund küßte. «Davon träumst du nicht!» sagte sie nur. «Das war einmalig.» Dann tauchte schon der Einkaufschef eines New Yorker Kaufhauses auf und wollte sich mit Isabelle für den darauffolgenden Morgen verabreden. Patrizia nahm ihn beiseite und machte einen Termin aus.
Am Abend gingen sie im kleinen Kreis essen. Gretel und Ida hatten nicht mitkommen wollen, vorgeblich, weil sie müde waren. In Wahrheit aber trauten sie sich nicht. Isabelle ließ ihnen ein Abendessen im Restaurant des Interconti servieren, wo man sie respektvoll und herzlich umsorgte, und war ganz froh, daß sie sich nicht um die beiden kümmern mußte. Patrizia hatte einen Tisch bei André» reserviert, einem chinesischen Restaurant, das sehr angesagt war und wo sich die Modeszene allabendlich geradezu um einen Tisch prügelte. Am liebsten wäre Isabelle zu Bett gegangen, aber sie wußte, sie war es ihrem Ruf und auch ihrem Team schuldig, mitzukommen. Das Hotel hatte ihr für die Zeit ihres Aufenthaltes eine Limousine bereitgestellt, doch sie zog es vor zu laufen.
«Ist doch bloß um die Ecke!» erklärte sie Patrizia, und so gingen sie zu Fuß durch die hellerleuchteten Straßen.
«Wie fühlst du dich?» fragte Patrizia fröhlich.
Isabelle zuckte mit den Schultern.
«Also, hör mal: Du mußt dich Bombe fühlen ... das war sensationell, die ganze Stadt redet drüber ...»
«Es ist irgendwie so ... ich kann es nicht richtig erklären. So eine Mischung: Es ist eingetreten, was ich sowieso erwartet habe ...»
«Na, herzlichen Glückwunsch, durchgedreht sind wir gar nicht. Aber vorher Beruhigungspillen fressen!»
«... und Erschöpfung.»
«Das allerdings verstehe ich. Du erholst dich jetzt erst mal. Ich habe für dich eine Woche in einem Spa in Miami gebucht, da fliegst du nach den Besprechungen in New York hin, und da putzeln sie dich wieder auf.»
«Ob ich dazu Lust habe?»
«Danach fragt keiner.»
«Das ist es eben auch: Ich fühle mich irgendwie ... als rückte mir mein Leben langsam immer ferner, als wäre ich eine Fremde.»
«Hä?»
«Verstehst du nicht, was ich meine?»
«Nee!»
«Mein Leben liegt nicht mehr in meinen Händen. Ich gestalte es nicht mehr. Es gestaltet mich. Ich hab Angst.»
«Angst haben wir alle. Und nun tu mir einen Gefallen und sei nicht wieder so doof drauf, sondern feier mit uns. Es ist alles wunderbar. Der Rest der Welt beneidet dich. Du hast allen Grund, dankbar zu sein. Dankbar, okay? Wir sind da!» Sie öffnete die Tür zu dem Restaurant, das in einer sanft ansteigenden, alten Seitengasse des Quartiers lag.
André sah aus, als habe man Madame Butterfly mit Bruce Lee gekreuzt. Er tippelte in
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