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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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höchster Verzweiflung.
    Gegenüber der Bühne war eine Tribüne aufgebaut. Wie in dem Mastkorb eines schaukelnden Schiffes auf hoher See hatten sich dort die Fotografen versammelt, ihre Kameras in Position gebracht, die Objektive der gläsernen Linsen im Licht der Scheinwerfer im Saal fluoreszierten. Alle zusammen glichen sie einem großen, fürchterlichen, gierigen Auge.
    Es war heiß im Saal. Schwitzende Männer wischten sich mit Taschentüchern ihre Nacken trocken, Damen, die selbst hier ihre Sonnenbrillen nicht abgenommen hatten, zeigten ihre Erschöpfung nur, indem sie sich mit den Pressemappen leicht und beiläufig Luft zufächelten. Im Raum herrschte unablässige Bewegung, die Atmosphäre war gespannt. Ein Fotograf, dem es gelungen war, sich unrechtmäßig Zutritt zu verschaffen, wurde, eben im Begriff, eine prominente deutsche Filmschauspielerin abzulichten, von den Ordnern am Schlafittchen gepackt und hinausgeworfen. Er wehrte sich aus Leibeskräften, doch die Ordner waren geübter als er. Sie rissen ihm die Kamera aus der Hand, öffneten sie, zogen brutal den Film heraus und setzten den Mann vor die Tür.
    Hinter der Bühne ging es nicht weniger aufregend zu. Ein Dutzend Models – Isabelle hatte nur die besten ausgewählt – waren geschminkt, frisiert und angezogen worden, standen nun parat und warteten, giggelnd, lästernd, tief durchatmend, auf den Befehl des Maître de plaisir, endlich auf den Laufsteg zu dürfen. Sie hatten nichts von der Eleganz der Mannequins, die einst auf Puppe Mandels Präsentationen wie Schwäne über einen Silberteich durch den Raum geglitten waren. Sie waren wie Katzen im Käfig, kurz vor dem Sprung. Riesengroße, schlanke, schöne Frauen, wild und diszipliniert zugleich, professionell und kindisch in einem. Es gab einen minuziösen Laufplan. Es gab Kleiderständer, mit Nummern und Namen versehen. Es gab Friseure, die mit Rundbürsten und Kämmen letzte Hand anlegten. Es gab Visagisten, die, mit Puderquasten bewaffnet, Schweißperlen und Unebenheiten den Garaus machten. Es gab Anziehhilfen, die kniend ein vorwitziges Stück Saum absteckten, ein Kleid rafften, eine Kette überwarfen. Es gab Walkietalkies, in die unablässig Befehle gebellt wurden.
    Eine Fanfare. Nebel stieg vor der Bühne auf. Atemlose Stille. Die Musik von Art of Noise. In Reih und Glied standen jetzt die Mädchen, der Maître de plaisir schubste die eine nach vorn, zog die andere nach hinten.
    Isabelle stand, dank einer wundervollen Pille vollkommen ruhig, direkt hinter dem Vorhang und beobachtete den Trubel. Sie hatte ihre Arbeit getan. Jetzt konnte sie nur noch hoffen. Alles war von ihr abgefallen: der Streß der letzten Wochen, die Aggressivität, die Hysterie. Noch vor einer Stunde hatte sie hier im leeren Saal auf Knien gehockt und den Laufsteg Zentimeter für Zentimeter nach krummen Nägeln abgesucht – es war ihr alter Aberglaube, den Ida ihr anerzogen hatte, die alte Angst, denn ein solcher Nagel auf der Bühne bedeutete Unglück, wie verstreutes Salz, wie ein Regenschirm, der in Innenräumen aufgespannt wird, wie eine schwarze Katze, die den Weg von rechts nach links kreuzt.
    «Und los!» rief der Maître de plaisir. Die Musik setzte ein.
    «I wish you luck!» sagte Isabelle zum ersten Model, einer schwarzen Amerikanerin, und es klang, als würde sie sich selbst meinen. Das Mädchen marschierte hinaus. Das zweite Model war dran. «Du siehst wunderbar aus!» sagte Isabelle und zupfte ihr einen imaginären Fussel vom Blazer. Isabelle verströmte Liebe. Denn in diesem Moment wollte sie geliebt werden. Sie fühlte sich, inmitten all dieser aufgeregten, präzisen, schönen, konzentrierten, verwirrten Menschen völlig allein und verlassen. «Beautiful», flüsterte sie und bekam wieder keine Antwort, «you are so beautiful!»
    Auf einem kleinen Monitor, der hier, hinter dem Vorhang, über den Köpfen der Menschen angebracht war, verfolgte sie draußen das Geschehen. Catwalk: Die Models liefen mit kühlen Blicken über den Laufsteg, drehten sich ein-, zweimal, kamen wieder bis zur Mitte, blieben kurz stehen, trafen einander, sahen sich an, ungerührt, kamen zurück. Es war eine ausgeklügelte Choreografie. Die Musik dröhnte. Blitzlichter flammten auf. Weiter, weiter, weiter. Next, next, next.
    Endlich dann, als würde sich die Hitze und Spannung eines schwülen Sommertags in einem Gewitter lösen, brandete Beifall auf. Beifall! Mehr Beifall! Isabelle fühlte sich, als habe sie eine Wüste durchquert und

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