Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
seinem winzigen Palast auf und ab, umgarnte seine prominenten Gäste, mißachtete die Laufkundschaft von der Straße, kicherte, gurrte, lästerte. Mit sehnigen Armen umschlang er seine Lieblinge, mit harter Hand scheuchte er seine Bediensteten. Er war der Liebling der Modemenschen, ein Fatzke, der so viel von Eitelkeit verstand, daß er sie bei seinen Gästen perfekt bediente. Er setzte sich ungefragt zu ihnen an die Tische, lauschte ihnen ergeben, fing Gerüchte auf wie Motten, um sie am nächsten Tisch wieder flattern zu lassen, im milchigen Licht seiner Fantasie. Das Restaurant hatte zwei Räume. Im ersten saßen die Stars, Stammkunden, Darlings und Chéries, im zweiten, dem hinteren, zu dem ein paar Stufen hinunterführten, versteckte er die schwarzen Modevögel, die in seinen Augen nichts Besonderes waren, ihn und sein Lokal aber trotzdem vergötterten. Mit gierigen Blicken hockten sie in drangvoller Enge und rauchstumpfer Zigarettenluft und unterbrachen ihr Geplauder jedesmal, wenn die Tür aufging. Paloma, flüsterten sie dann, oder Yoshi; «dahinten hockt die Vogue», zischten sie verschwörerisch und «Da ist reserviert für Woman's Wear Daily».
Als Belle mit ihrer Freundin das Lokal betrat, war sofort klar, daß sie dazu gehörte. Man reckte die Hälse. André kam heran, grinsend, die schmalen Augen noch schmaler ziehend, schubste eine Dim-Sum servierende Kellnerin weg, rückte lärmend ein paar Stühle beiseite und zeigte ihnen mit einem voilà! in gepiepster Truman-Capote-Stimmlage ihren Ecktisch im ersten Raum, dem «richtigen», wie Patrizia zufrieden bemerkte. Isabelle war einfach zu erschöpft, um sich an den Privilegien, die ihr zuteil wurden, zu erfreuen. Man schleppte ihr kostenlosen Reiswein zur Begrüßung an den Tisch, André setzte sich zu ihnen und sprach davon, daß er «Großes» gehört habe, sie sei «une grande», «Belle, la grande Allemande!» Ein paar Minuten darauf kamen die vier andern Gäste, die Patrizia dazugebeten hatte: ein italienischer Fotograf, der den nächsten Modekatalog fotografieren sollte, ein Abgesandter der Chambre de commerce, den Maître de plaisir und ein Model aus Schweden, das in Belle verknallt war.
Es ging munter zu an ihrem Tisch, es wurde laut gelacht und pausenlos geredet. André trug vor, was für Speisen er bereit sei, ihnen zu servieren (Speisekarten waren bei ihm verpönt), sie bestellten Sancerre und Evian, Frühlingsrollen, Gemüsesuppe, gegrillte Ente in Pflaumensauce, gebackene Shrimps und gedünsteten Fisch. Isabelle hörte den ganzen Abend über nur mit halbem Ohr zu. In Gedanken war sie noch bei der Show, ging jedes Outfit und jeden Auftritt durch, ärgerte sich über Fehler, durchlebte noch einmal den Beifall, der ihr schon jetzt vorkam, als habe er jemand anderem gegolten.
Nach dem Hauptgang kehrte André an ihren Tisch zurück, mit einer eisgekühlten Flasche Champagner, sechs Gläsern und einem Couvert. Er überreichte es Isabelle. Erstaunt riß sie den Umschlag auf. Mit kleiner Schrift und in roter Tinte stand auf der Karte aus Bütten auf englisch faboulos! und auf französisch je pense á toi!
André zeigte, während er den Korken gekonnt aus dem Flaschenhals gleiten ließ, hinter sich, auf einen Tisch in der andern Ecke, neben der winzigen Bar. Die Karte war unterschrieben mit Christin. Isabelle wandte sich um. Ins Gespräch vertieft, saß dort Christin Laroche zwischen zwei älteren, elegant gekleideten Herren. Sie war schlank wie eh und je, älter geworden, Ehrgeizfalten zogen sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln, sie hatte ihre Haare zu einem Pagenschnitt schneiden lassen und trug ein edles Yves-Saint-Laurent-Kleid, schwarze Nahtstrümpfe und Riemchenschuhe mit hohen, dicken Absätzen. Wäre sie in diesem Moment aufgestanden, hätte einen Schuh auf den Stuhl gestellt, ein Akkordeon genommen und angefangen zu singen, sie hätte die perfekte Chansonnette abgegeben.
«Oh!» bemerkte Patrizia. «Champagner!»
«Ja», erklärte Isabelle und fügte ironisch hinzu: «Von meiner besten Freundin!»
Patrizia sah sie an und folgte dann ihrem Blick. «Ach du Schande.»
«Was mache ich jetzt?» fragte Isabelle.
«Was willst du machen?»
André goß ein.
«Am liebsten würde ich den Champagner zurückschicken.»
«Oder ihn ihr über die schwarze Perücke kippen!» sagte Patrizia lachend.
«Oder ihr endlich die verdiente Ohrfeige geben!» ergänzte Isabelle.
«A votre santé!» flötete André und verschwand in Richtung
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