Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Verhältnis angefangen hatte und sie deshalb die Schule verlassen mußte. Seine neue Freundin war geschieden und hatte eine Tochter. Jon hatte Philip von Anfang an auf die Probleme hingewiesen, die dabei auf ihn zukommen könnten. «Du warst ja schon immer dagegen», fuhr Philip ruhig kauend fort, «und vielleicht hast du sogar recht gehabt damit.»
«Philip, nun rede nicht so einen Blödsinn, Mensch. Ich habe dich doch immer machen lassen, was du wolltest ...»
«Stimmt.»
«Aber man wird ja als Vater wohl was dazu sagen dürfen, wenn der Sohn sich im zarten Alter von Anfang Zwanzig eine zehn Jahre ältere Frau mit Kind zulegt. Sie ist an Albershude gebunden, schon wegen ihres Jobs und ihrer Situation als alleinerziehende Mutter. Du hingegen bist flexibel, hast Pläne. Ich will halt nicht, daß du so ein verantwortungsloser Fuzzi wirst, der hinterher Leute ins Unglück stürzt – oder sich selbst –, weil er vorher nicht drüber nachdenkt, was passieren könnte.»
«Wenn man sich vor jedem Schritt immer erst über die Konsequenzen im klaren sein soll, kann man ja gleich aufhören zu leben. Daß du immer so rational tust. Ausgerechnet du. Ausgerechnet beim Thema Liebe!»
Eine Weile redeten sie noch darüber. Jons Bedenken waren gerechtfertigt, doch Philips Argumente überzeugender: Er liebte seine Freundin, und sie liebte ihn. Wenn er tatsächlich nach Madrid ginge, müßte man eine Lösung finden.
«Wie hat Mama immer gesagt?»
«Ich ziehe mir die Schuhe erst aus, wenn ich am Fluß bin.»
Beide dachten an Hellen, jeder auf seine Art.
Nachdem sie das Abendessen beendet hatten, schlug Philip vor, einen Spaziergang zu machen. Es waren die langen, hellen Tage. Der Himmel war noch blau, kein Windhauch regte sich, Schwalben flogen hoch oben in der Luft, auch morgen versprach es ein schöner Tag zu werden. Solche Dinge hatte Philip von seinem Vater gelernt, das liebte er an ihm, Sätze wie diese hatten ihn sein ganzes bisheriges Leben begleitet, wie ein zuverlässiger Wegweiser im Dickicht des Daseins: «Wenn Schwalben hoch fliegen, gibt es gutes Wetter.» «Hummeln sind die Fleißigsten, morgens die ersten und abends die letzten.» – «Wenn die Pappeln im Wind die silberne Unterseite ihrer Blätter zeigen, dann gibt es ein Unwetter.» – «Bäume muß man umarmen, das gibt Kraft.»
Über den Feldweg marschierten sie hinunter zum Seerosenteich. Als sie angekommen waren, zogen sie ihre Schuhe aus, balancierten über die großen Feldsteine, setzten sich ganz vorn ans Wasser und tauchten die Füße hinein. Der Teich war voller glänzender, dicker Blätter, Knospen und burgunderroter Blüten, die sich zum Abend geschlossen hatten. Das Ufer war dicht bewachsen, Schilf, Gräser, Pompesel, die wie Wachsoldaten herausragten, blaue Schwertlilien, Sauerampfer, Fingerkraut und giftgelbe Sumpfdotterblumen wucherten rund um den Teich. Eine Libelle, die aussah wie ein Miniaturhubschrauber, flog niedrig über der Wasseroberfläche, blieb in der Luft stehen, drehte ab und verschwand hinter den Trauerweiden. Mit trübem Blick blähte ein Frosch auf einem Seerosenblatt die Backen. Philip machte eine scheuchende Handbewegung, der Frosch sprang blitzartig hoch und tauchte mit einem Plumps im Wasser unter.
«Hätte ein Prinz sein können!» meinte Jon.
Philip lachte auf. «Das ist nun allerdings was, das mich überhaupt nicht interessiert, wie du weißt.» Er nahm einen Kieselstein und warf ihm den Frosch hinterher. Dann war es wieder friedlich, man hörte kein Geräusch, seltene, seltsame Stille breitete sich aus.
Nach einer Weile fragte Philip: «Denkst du noch oft an sie?»
Jon antwortete nicht sofort. Die Männer starrten unverwandt auf das Wasser. Dann sah er seinen Sohn an. «Du meinst Mama? Hellen?»
Philip schüttelte den Kopf.
Ein verirrter Zitronenfalter tanzte vor ihrer Nase herum und setzte sich dann in sicherem Abstand auf einen Stein. Die letzten Sonnenstrahlen blinzelten durch die Zweige der Bäume hindurch und setzten ein paar funkelnde Diamantenlichter auf den Seerosenteich. Jon blickte wieder aufs Wasser. «Ja», sagte er.
«Oft? Wie oft?»
«Jeden Tag.»
«Wirklich?» Philip schaute seinen Vater fragend an.
Jon nickte.
«Das könnte mir nie passieren.»
«Was?»
«Na, so eine lebenslange ... unerfüllte Liebe ... stelle ich mir völlig hart vor.»
«Es ist auch etwas sehr Schönes», erklärte Jon, «etwas, das wie ein Schatz ist, den man in sich trägt. Den einem keiner nehmen kann. Verborgen,
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