Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
japanische Tuschzeichnungen. Isabelle saß in einem Herrenschlafanzug vor ihrem Rollbureau und schrieb. Als Patrizia eintrat, stand sie auf und küßte die Freundin zur Begrüßung auf die Wange.
«Seien Sie nett und waschen Sie das Obst und bringen Sie es uns dann!» wandte Patrizia sich höflich an Elena und reichte ihr die Tüten. Die Haushälterin verließ das Schlafzimmer.
Isabelle vermied es, Patrizia anzusehen. «Setz dich», sagte sie und ließ ihren Blick schweifen, «ist alles gut gelaufen? Was macht ihr auf? Pastell oder Colour?»
Patrizia schob ein paar Bildbände, die auf dem Hocker am Ende des Bettes lagen, beiseite und setzte sich. «Was war das heute? Was ist mit dir? So einen Auftritt habe ich ja noch nie erlebt, in den letzten ...», sie dachte nach, «fünfzehn Jahren nicht.»
Isabelle nahm wieder auf ihrem Stuhl vor dem Rollbureau Platz. «Das will ich dir sagen: Es ist mir ernst. Todernst. Ich habe hier ...» Sie nahm flüchtig ein paar beschriebene Briefbogen hoch.
Patrizia unterbrach sie: «Dein Testament gemacht!»
«Sozusagen ja. Ich habe aufgeschrieben, was es zu tun gibt. Ich höre auf. Aus, basta, Punktum, finito.»
«Du bist verrückt.»
«Im Gegenteil.»
Elena kam mit einer schönen italienischen Keramikschale zurück, in der sie das Obst arrangiert hatte. Sie stellte sie auf die China-Kommode und verließ leise das Zimmer. Isabelle trank aus dem Glas, das vor ihr stand, einen Schluck Wasser, so, als müsse sie eine Rede halten. Patrizia sah ihr zu, wie sie dann zwei Tabletten aus der Folie drückte und herunterschluckte.
«Und deine Tablettenfresserei immer.» Sie stand auf, zupfte ein paar Trauben aus der Schale und aß sie.
«Ich brauche sie. Ich sterbe sonst. Ist dir das nicht klar?»
Patrizia wollte nichts davon hören. Wütend fragte sie: «Ich sterbe, ich sterbe, ich sterbe – das sagst du immer. So leicht stirbt man nicht. Ist das jetzt die Stunde der Wahrheit, oder was?»
«Ja. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit.» Isabelle ging zu ihrem Bett, schob alle Kissen an das Kopfende und legte sich darauf. «Ich bin so müde. Ich bin es so leid!» erklärte sie mit monotoner Stimme. «Ich schlafe nicht. Seit Jahren schon brauche ich Tabletten, um überhaupt ein paar Stunden Ruhe finden zu können. Ich lebe unablässig gegen mein Gefühl, gegen meinen Körper, pumpe mich morgens auf, um für den Tag Kraft zu finden. In meinem Leben gibt es nur noch Arbeit.»
«Das geht uns allen so, leider.» Patrizia setzte sich zu ihr ans Bettende.
«Ja, aber ich bin nicht erfüllt davon, es strengt mich immer nur an. Ich bin kaputt, mein Kopf ist leer, mein Körper müde, mein Herz rast, ich bin deprimiert, wenn ich nichts dagegen tue. Dazu kommt die ständige Unzufriedenheit, daß das Leben an mir vorbeigeht ... ich kriege nicht mehr mit, was um mich herum passiert. Carl krank. Ich erfahre es erst, als es fast zu spät ist ... an einer Hand kann ich abzählen, wie oft ich in den vergangenen Jahren meine Mutter und Gretel Burmönken gesehen habe; ich habe keine Freunde mehr ... außer dir, ich weiß ... aber Jon zum Beispiel. Ich habe nie mehr was von ihm gehört.»
«Dazu gehören zwei.»
«Eben. Ich habe mich bei ihm auch nie mehr gemeldet, ich weiß nicht mal mehr, ob er noch in Luisendorf lebt, was er tut, wie es ihm geht ...»
«Ein Telefonat. Das könnte sogar deine Sekretärin rauskriegen.» Isabelle verdrehte die Augen. «Das ist doch nicht der Punkt, mein Gott. Verstehst du mich denn nicht? Ich habe keine Kraft für irgend etwas außer der Firma. Ich lebe nicht mehr.» Kleinlaut fügte sie hinzu: «Ich überlebe nur noch.»
Patrizia kraulte ihr die Füße. «Mensch ... das klingt ja alles fürchterlich. Warum hast du nicht eher mal was gesagt?»
«Weil ich gelernt habe, schmerzhaft gelernt habe, daß man die Dinge besser mit sich selbst ausmacht.»
Bestürzt merkte Patrizia, daß Isabelles Entscheidung längst gefallen war und man sie nicht mehr umstimmen konnte. Sie war geschockt darüber, wie wenig Einfluß sie in Wahrheit auf Isabelle hatte, von der sie bis dahin geglaubt hatte, sie hätte keine Geheimnisse vor ihr und sie, Patrizia, sei ihre beste Freundin, ihre Vertraute. Vor allem aber irritierte sie, mit welcher Härte und Konsequenz die Modeschöpferin plante, sich aus dem Unternehmen zu verabschieden. Larmoyanz warf sie ihr vor, und auch, daß sie immer nur an sich denke. Nicht ein einziges Mal an die anderen, an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, und an sie
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