Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
zu kochen. Dann weckte sie ihre Tochter. Anschließend schmierte sie für sich und Isabelle je eine Scheibe Honigbrot, goß den Kaffee auf und ging dann noch einmal durch das ganze Haus. Die Räume wirkten leer und abweisend. Jeder Schritt hallte. Oben im Schlafzimmer warf Ida einen Blick aus dem Fenster in den Garten. Die Wäscheleine. Der ungemähte Rasen. Die abgeernteten Beete. Der leere Hühnerstall. Der tote Acker hinter dem Garten. Es war zum Weinen.
Sie ging die Stufen hinunter, nahm eine volle Reisetasche, die in der Kammer gestanden hatte, mit. Kein Gang ohne Sinn, wer rausgeht, nimmt was mit, das hatte schon ihre Mutter jeden Tag nach jeder Mahlzeit gepredigt. «Isabelle! Wo bleibst du? Trödle nicht!»
Sie stellte die Tasche in der Diele ab, ging in die Küche zurück, goß dort in die beiden Becher, die sie zurückbehalten hatte, Kaffee und aus der Blechkanne Milch dazu. Im Stehen trank sie einen Schluck und aß ein Stück Brot. Sie hatte keinen Hunger. Sie war nervös.
«Kind!» rief sie laut durch die geöffnete Küchentür. «Du mußt deinen Kram noch einpacken. Nun mach doch!»
«Komme ...»
Ida schaute aus dem Küchenfenster. Es war schon hell, aber noch diesig. Es würde ein heißer Tag werden, drückend, schwül. Sie hätte jemanden beauftragen sollen, die Blumenbeete im Vorgarten zu sprengen. Daran hatte sie nicht gedacht. Aber was ging es sie jetzt noch an? Zum hundertsten Mal öffnete sie nacheinander alle Schränke und überprüfte, ob sie noch etwas vergessen hatte. Der große Umzug hatte schon am Freitag stattgefunden. Telefon: abgestellt. Strom: abgemeldet. Alle Papiere befanden sich in Hermanns Aktentasche, die zur Abfahrt bereit in der Diele lag. Den Schlüsselbund würde sie Fritz geben, der ihn auf der Rückfahrt in Albershude auf dem Lenkwitzschen Gut abgeben würde.
Der Schlüssel, das Abschließen ihres Hauses: das war die letzte Handlung, das war wie ein Symbol. Das Alte hinter sich lassen, das Neue annehmen. Es wollen, es mögen, es lieben. Davon hatte Pastor Petersen in seiner Predigt gestern gesprochen. Extra ihretwegen. Was war das Neue? Wie konnte man es annehmen und lieben, wenn man es nicht freiwillig gewählt hatte, sondern dazu gezwungen wurde? Gebe Gott, daß sie da nicht in ihr Unglück rannte in Hamburg und ihre Tochter mit hineinzog. Ida klopfte dreimal kurz auf die Fensterbank.
Isabelle kam gähnend herein. Noch Schlaf in den Augen, kämmte sie mit einer Drahtbürste ihre Haare. «Morgen, Mama.» Sie blieb vor ihrer Mutter stehen und drückte ihr einen Kuß auf die Wange.
Wortlos goß Ida ihr den Rest Milch in den Becher. Dann nahm sie ihr die Bürste aus der Hand, und während Isabelle den Milchkaffee trank, bürstete Ida ihrer Tochter die Haare, als striegelte sie ein Pferd.
Isabelle langte nach dem Brot, biß ab und maulte kauend: «Ich versteh gar nicht, warum wir so früh aufstehen. Onkel Fritz kommt doch erst später.» Sie legte das Brot auf den Teller zurück und sah auf ihre Uhr mit dem roten Armband, die Gretel Burmönken ihr im Januar zum Geburtstag geschenkt hatte. «In zwei Stunden!»
«Ja, was denkst du? Daß sich der Rest hier im Haus allein zusammenpackt? Und hinten im Garten liegt noch dein Ball, dein blödes Gummispringseil, dein ...» Sie knallte die Bürste auf den Herd. «Und dann mach ... trink die Milch, iß dein Brot. Ich bin kurz im Keller.» Sie ging zur Tür. «Du räumst deine Sachen in deinem Zimmer zusammen, dann holst du das Zeugs aus dem Garten, und dann stellst du alles vor die Haustür. Aber dalli. Und dann machst du dir Spangen ins Haar, so kannst du da nicht antanzen bei den Herrschaften in Hamburg, was denken die denn.» Mit diesen Worten verließ sie die Küche.
Isabelle war sauer. Immer dieses Gemeckere, seit ihr Vater tot war. In Ruhe beendete sie ihr Frühstück. Eben wollte sie die Küche verlassen – sie hörte ihre Mutter im Keller poltern (das tut sie extra, dachte Isabelle) –, als sie flüchtig aus dem Fenster sah und überrascht stehenblieb: Am Gartentor, von Morgensonne beschienen, lehnte Jon. Er mußte schon seit einer Weile dort gestanden haben. Fast regungslos, wie ein treuer Soldat, der auf seinen Befehl wartet. Wie immer in seinem weißen, kurzärmeligen Pikeehemd und den beigen Shorts aus Feinkord. Sonnengebräunt, die kurzen, schwarzen Haare mit Birkin-Haarwasser geglättet. Er sah sauber und frisch gewaschen aus. Isabelle freute sich, ihn zu sehen. Doch es tat ihr auch weh. Zum ersten Mal spürte sie
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