Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
In der mächtigen Rotbuche, die auf der Rasenfläche links der Auffahrt Schatten spendete, saß eine Amsel und sang. Autos brummten in regelmäßigen Abständen vorbei, gedämpft durch die Buchsbaumhecke, die das Anwesen von der Elbchaussee abschirmte. Fern im Hafen stampfte eine Ramme. Ein Schiff tutete. In der Nachbarschaft wurde mit einem Benzinmäher der Rasen gemäht. Isabelle legte den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel hoch. Sie kniff die Augen zusammen, die Sonne blendete sie. Ein Flugzeug flog durch die Bläue. Klitzekleine Wolken sahen aus, als hätte sie jemand nur gemalt. Das also war Hamburg.
«Stehst wahrscheinlich schon seit heute morgen um acht am Tor», sagte Fritz zu Gretel und sprang auf die Ladefläche des Transporters.
«Ich bin gerade raus», behauptete Gretel, «ich hatte so ein Gefühl !»
Fritz wollte abladen, doch Gretel schlug vor, das auf später zu verschieben.
«Ich muß zurück, Deern», erklärte er, «um fünf machen wir auf, ich muß noch ein Faß Bier anstechen und so weiter.»
«Aber erst essen wir was», bestimmte Gretel und strich sich mit den Händen über ihre Schürze.
Fritz kam wieder vom Transporter runter. «Na dann. Können wir das hier so stehenlassen?»
Gretel nickte. «Die Trakenbergs sind in der Stadt. Dann laßt uns mal.»
Isabelle wollte die Stufen zur Villa hochgehen, doch Gretel, gefolgt von Ida und Fritz, ging seitlich des Gebäudes entlang und zeigte im Vorbeigehen auf ein Schild, das an der Mauer angeschraubt war. Es war aus Messing. In schwarzer Farbe zeigte ein Pfeil weg vom Portal, und darüber stand in Großbuchstaben: LIEFERANTENEINGANG. Während die Erwachsenen sich darüber offenbar keine Gedanken machten und weitergingen, blieb Isabelle einen Augenblick vor dem Schild stehen und starrte darauf. Lieferanteneingang. Das war etwas Neues für sie. Es fühlte sich nicht gut an.
«Träum nicht!» rief ihre Mutter, die stehengeblieben war und wartete. Isabelle kam zu ihr gelaufen. Kaum waren sie um die Ecke, bemerkten sie ein weiteres Gebäude, das etwas zurückgesetzt lag, kleiner als die Villa und dicht mit Efeu bewachsen. Es hatte zwei dunkelgrüne Holztore und ein Schieferdach mit Sprossenfenstergauben.
«Da werden wir wohnen», erklärte Ida ihrer Tochter, «das ist ein Kutscherhaus.»
«Ein Kutscherhaus?»
«So sagt man, ja. Früher standen da unten Kutschen, jetzt ist es eine Garage. Und oben, da, wo die Fenster sind, da ist unsere Wohnung. Sie ist klein, aber sehr schön. Du wirst schon sehen.»
In der Küche, zwei Außenstufen hinunter, durch die Kellertür hindurch und einen Gang entlang, die dritte Tür links, war es angenehm kühl. Gretel hatte den Tisch für vier Personen gedeckt. Auf gelben Stroh-Sets standen Teller, schlichte Gläser mit Rautenmuster, daneben lagen Servietten und Bestecke. Eine Milchkanne aus Bunzlauer Keramik hatte sie zur Vase umfunktioniert und einen Strauß Bartnelken, ihre Lieblingsblumen, hineingestellt.
«Wascht euch die Hände», sagte Gretel, die es gewohnt war, in der Küche das Kommando zu übernehmen, und zeigte auf den Spülstein, «Handtuch hängt da. Fritz, ein Bier?» Er nickte. «Für dich, Isa, vielleicht eine Apfelsaftschorle? Und wir was, Idalein? Kleinen Schoppen?»
«Nein. Ich bin ganz erschöpft von allem. Aber du kannst natürlich ... Ich hätte gerne einfach nur ein Selterwasser.»
Gretel öffnete den Kühlschrank, nahm je eine Flasche Saft, Wasser und Bier heraus, mischte, während die anderen sich setzten, Saft und Wasser in einer Glaskaraffe und stellte sie auf den Tisch. Dann drückte sie den Bügel der schlanken dunkelbraunen Bierflasche hoch, und mit einem Plopp sprang der Porzellanverschluß ab. Sie stellte Fritz die Flasche, aus der etwas Schaum quoll, vor die Nase. Dann deckte sie das Mittagessen ein. Auf einer Platte hatte sie noch warme, appetitlich duftende Kalbfleischfrikadellen arrangiert und mit Petersilienbüscheln dekoriert. Dazu gab es eine Schüssel mit Kartoffelsalat, der reich mit krossen Speckwürfeln, frischen Kräutern, gehobelter Salatgurke und handgerührter Mayonnaise abgeschmeckt war.
«Nu nehmt euch!» Gretel setzte sich. «Ich hab mir ja nicht die Mühe zum Gucken gemacht.»
Zuerst sprach Ida noch ein Gebet. Isabelle faltete die Hände, aber sie war mit ihren Gedanken nicht dabei. Der Abschied von Luisendorf und von Jon, die vielen neuen Eindrücke und ihre unbändige Neugierde machten sie unruhig.
«Amen.»
Mit Appetit griffen alle zu. Es schmeckte
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