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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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zumute. Sie mußte eine Weile so dagesessen haben, als die Tür aufging. Carl Trakenberg, der an diesem Tag früher aus dem Kontor zurückgekehrt war, betrat zusammen mit Gretel die Küche. «Was höre ich da?»
    Erschrocken blickte Isabelle auf. Sie hatte Angst vor dem Hausherrn, sie kannte ihn kaum, sie war ihm bisher nur selten begegnet. Er trat zu ihr. Einem Impuls folgend, stand sie ruckartig auf, schwankte dabei aber ein wenig. Carl hatte sie erreicht und umfaßte ihren Arm mit festem Griff. Sie hatte das Gefühl, er wollte ihr weh tun. «Es ... es tut mir leid ...», erklärte sie ängstlich. «Es ist aber nicht meine Schuld!»
    Carl lächelte sie an, mit seinem breiten, optimistischen, schönen Lächeln. «Ich weiß!» Er schob ihr und sich einen Stuhl hin, drückte sie sanft herunter und setzte sich ganz dicht vor sie. «Vivien hat mir alles erzählt.»
    Gretel, mit vor der Brust verschränkten Armen, kam langsam hinzu.
    «Was hat sie denn gesagt?» fragte Isabelle matt.
    «Daß es ihre Idee war, Schlittschuh laufen zu gehen. Daß du sie gewarnt hast. Und daß du sie gerettet hast.» Er faßte sie mit den Händen an den Schultern, wie von Mann zu Mann. «Danke!»
    «Na, das ist ja 'ne schöne Schtorie!» meinte Gretel.
    Carls Blick fiel auf Isabelles Füße. Sie trug noch immer die Schlittschuhe.
    «Na, sag mal ...» Er kniete sich vor ihr hin. «Die mußt du doch ausziehen!» Er begann ihr das Schuhband zu lösen, Öse für Öse.
    Gretel kniete sich neben ihn. «Das kann ich doch! Herr Trakenberg!»
    «Machen Sie den anderen Schuh, Burmönken.»
    Sie knieten vor dem Mädchen, das auf sie herabsah und von einem Gefühl warmer Zufriedenheit durchflutet wurde.
    «Kleine Lebensretterin», sagte Gretel, «na, so was.»
    Es machte Mühe, die Schlittschuhe und Strümpfe auszuziehen, und nachdem es ihnen endlich gelungen war – Isabelle hatte dabei zweimal schmerzhaft aufgeschrien – wurde auch allen klar, warum: Die Füße waren nicht nur dick, sondern wund und blutig. Während Gretel sofort Wasser aufsetzte und eine emaillierte Schüssel aus der Speisekammer holte, hockte Carl, eine Hand auf das Knie gestützt, weiterhin vor Isabelle und sah sie bewundernd an. Sie wich seinem Blick nicht aus.
    Gretel hastete mit der Schüssel heran. «Gehen Sie nun mal beiseite, Herr Trakenberg, jetzt kriegt die Lütte ein Fußbad, nicht?»
    Carl stand auf. Gretel nahm behutsam erst den einen und dann den anderen Fuß ihres Schützlings und setzte ihn vorsichtig ins Wasser. «Gut so?»
    «Ja.» Auf einmal spürte Isabelle den Schmerz. Doch er war nichts gegen das Gefühl der Geborgenheit. Sie lächelte Carl an.
    «Paß auf», sagte er, «ich mache das wieder gut.» Er ging zur Tür. «Das werde ich dir nie vergessen, Isabelle!» Mit diesen Worten verließ er die Küche.
    «Was ist denn mit dem los?» fragte Gretel und sah ihrem sonst so distanzierten Chef erstaunt nach.
    In dieser Nacht schlief Isabelle tief und gut. Sie träumte, daß sie sich mit Jon am Seerosenteich verabredet hatte. Als sie dort ankam, an einem Silberglitzertag, der schöner nicht sein konnte, schwamm Jon im Wasser, umgeben von einem dichten Bett blühender Seerosen. Sie zog sich aus und ließ sich zu ihm hinunter ins Wasser gleiten. Es war viel wärmer, als sie gedacht hatte. Jon schwamm vor ihr, und sie folgte ihm. Als sie ihn erreicht hatte, hielt er inne und drehte sich um. Isabelle war überrascht. Es war nicht Jon. Es war Carl.

Kapitel 6
    Der Hausarzt befürchtete zunächst, Vivien könnte eine Lungenentzündung haben. Doch sie kam mit einer Erkältung davon, einer so schweren allerdings, daß sie zwei Wochen mit Fieber im Bett lag. Während dieser Zeit kümmerte sich Charlotte rührend um ihre Tochter. Sie saß an ihrem Bett und las ihr aus «Nesthäkchens Backfischzeit» vor, dessen Einband mit dem Bild einer heimeligen Familienidylle schon ganz abgegriffen war. Sie selbst hatte es als Kind von ihrer Mutter geschenkt bekommen, die ihr auch oft daraus vorgelesen hatte. Charlotte machte ihrer Tochter Wadenwickel und Schwitzpackungen, verabreichte ihr Hustensaft aus braunem Kandis und Rettichscheiben, den Gretel in der Bunzlauer Milchkanne angesetzt hatte, sorgte dafür, daß Ida Obst vom Markt mitbrachte und Gretel Hühnersuppe kochte. Als es Vivien besser ging, durfte sie, mit einem Schal um den Hals und eingehüllt in eine Wolldecke, auf dem schönen rosengeblümten Sessel im Schlafzimmer ihrer Mutter sitzen und ihr beim Briefeschreiben zusehen.

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