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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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Karriere tun können, doch in ihrem Leben machte sie sich unentbehrlich. Sie half ihr, Bewerbungen zu schreiben, sie bemutterte sie, pflegte sie, wenn sie Schnupfen hatte oder Ärger mit Remo; sie verbrachte jede freie Minute mit ihr, und Isabelle lernte von ihr alles, was sie für ihr künftiges Leben brauchte.
    Oft gingen sie schon vormittags in eines der Straßencafés in St-Germain. Beide mochten sie den Herbst in Paris, sie zogen ihn dem so oft besungenen und die Touristen lockenden Frühling entschieden vor. Wenn es morgens noch kalt war, der Nebel über den Straßen lag und sich nur langsam auflöste, wenn die müde Sonne durch die Wolken brach, den naßglänzenden Asphalt der Boulevards trocknete, wenn die Bäume in den Straßen und Parks ein letztes Mal, bevor alle Blätter gefallen waren, wie Kupfer, Gold und Bronze leuchteten, wenn das Licht weich und schmeichelnd war und die Luft klar und trocken, dann verbrachten sie geruhsame Stunden der Muße. Am liebsten ließen sie im Café Deux Margots die Seele baumeln. Kaum hatte einer der Kellner die Stühle zurechtgerückt und mit einem kurzen geübten Schlag der Serviette die Krümel von den Tischchen gefegt, schwirrten sie wie Spatzen heran, bestellten Milchkaffee, setzten ihre Sonnenbrille auf und beobachteten die vorbeigehenden Passanten. Bevorzugt die Männer. Sie alberten herum wie Teenager. Ihr Spiel bestand darin, Männern Noten zu geben und sich dabei kaputtzulachen.
    Meist gab Christin als erste eine Bewertung ab. «'ne klare Eins!»
    «Bist du verrückt? Das ist 'ne Fünf, 'ne Sechs ... der sieht doch Scheiße aus!»
    «Aber der Arsch! Der ist sen-satio-nell. Guck ... guck ... och, jetzt ist er weg.»
    «Wo du auch immer drauf achtest.»
    So vergingen die Stunden, die Tage, die Wochen, die Monate. Abgesehen davon, daß Isabelle gelegentlich Mordgelüste gegenüber Remo verspürte – wenn er mal wieder nachts nicht nach Hause kam und eine idiotische Entschuldigung vorbrachte; wenn er ihr Vorwürfe machte, daß sie kein Geld habe; wenn er betrunken Sex wollte –, führte sie ein gutes Leben. Unbeschwert wie ein lockeres, leichtes Soufflé. Doch wie man weiß, fallen Soufflés leicht zusammen.
    «Was machen wir denn jetzt?» fragte Christin.
    Isabelle stöhnte auf, schloß die Augen und drückte ihre Hand gegen die Stirn. «Erst mal sterbe ich. Dann können wir weitersehen.»
    Christin warf sich auf ihre Freundin, die vor Schreck anfing zu schreien, kitzelte sie und rief: «Wegen deinem Kopfweh? Sterben? Kommt nicht in Frage. Ich verbiete es!»
    «Hör auf, Christin, bitte, hör auf ... mir ist wirklich elend.»
    Christin ließ von ihr ab, stand auf und wühlte aus ihrer engen Hosentasche einen Plastikstreifen mit Tabletten heraus. «Das ist ganz gut, daß du Kopfweh hast. Dann weißt du wenigstens, daß du den Wein nicht mehr trinken darfst.»
    «Sehr witzig.»
    «Hier, nimm zwei davon.» Sie drückte die Tabletten durch die Aluminiumfolie und ließ beide in Isabelles Hand kullern.
    «Stark?»
    Christin nickte ernst. Dann ging sie in Richtung Küche. «Ich mache uns jetzt einen guten Kaffee», sagte sie im Gehen. «Wo ist Remo überhaupt?»
    Isabelle erhob sich langsam. «Ein Shooting.»
    «Na so was!» rief Christin aus der Küche und drehte den Wasserhahn auf. Wie üblich gluckerte, dröhnte und quietschte die Wasserleitung, als würde sie jeden Moment das alte Gemäuer aus den Angeln heben. Isabelle griff nach einem Glas, das vor ihr auf dem Boden stand, und spülte mit dem Rest Wein, der sich noch darin befand, die Pillen hinunter. Sie ging langsam zum Kamin, um das Baguette, das Christin dort hatte liegenlassen, in die Küche zu bringen. Dabei fiel ihr Blick auf die kleine Bronzestatue, die dort, vor dem Barockspiegel, ihren Platz gefunden hatte. Ein Geschenk von Carl, zum Abschied. Sie stammte aus den zwanziger Jahren und zeigte einen klapperdürren, hohläugigen Jungen mit Knickerbockern, ausgebeulter Jacke und einer Mütze auf dem Kopf. Er hatte knöchelhohe Stiefel an, an denen die Bänder fehlten. Seine Hände tief in den Taschen vergraben, stemmte er sich gegen den Wind. Einen Moment lang hatte Isabelle das Gefühl, sie betrachte sich selbst. Carl hatte diese Plastik immer besonders geliebt. Wenn man dem Jungen über die Wange strich, so hatte Carl damals erzählt, würde das Glück bringen. Silbrig blank war die Stelle in seinem Gesicht, so oft war sie schon berührt worden.
    Auch Isabelle streichelte nun, wie so oft in der letzten Zeit,

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