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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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Dachfenster, durch die die Oktobersonne fiel und ihr Licht auf die jahrhundertealten Holzdielen warf. Ein Kamin, auf dessen Sims eine leere Rotweinflasche und Gläser standen, gaben dem Zimmer eine altmodische, morbide Eleganz. Er diente als Heizung, denn das Haus stammte aus einer Zeit, als man noch keine hatte, und nachträglich war nie eine eingebaut worden.
    Überall lag etwas herum. Stapel von Zeitschriften. Klamotten auf einem roten Samtsofa. Eine Wolldecke, die eher einer Pferdedecke glich, auf einem einfachen, blau-weiß gestreiften Holzliegestuhl. Fotos. Modezeichnungen. Eine Wasserpfeife auf einem großen, runden, marokkanischen Messingtablett. Christin verdrehte die Augen.
    «Morgen!» In einem weiten Männerschlafanzug von Remo war Isabelle in der Tür zur Schlafkammer erschienen. Sie streckte sich und gähnte.
    Christin strahlte sie an, ging auf sie zu und gab ihr links und rechts einen Kuß auf die Wange. Dann haute sie Isabelle zweimal mit dem Baguette auf den Kopf. «Aufwachen! Paris hat wirklich einen schlechten Einfluß auf dich! Ich mache Kaffee, okay? Du machst dich schnell fertig, dann frühstücken wir, und dann ...»
    «Bitte!» Sie versuchte Christin Einhalt zu gebieten. «Du bist ja schlimmer als jede Lawine in den Alpen. Ich bin noch todmüde, laß mich doch erst mal wach werden!» Sie ging zum Sofa, warf sich hinein, streckte alle viere von sich.
    Christin legte das Brot auf den Kaminsims, nahm von einem Stuhl ein Päckchen Gauloises, zog zwei Zigaretten heraus, steckte sie sich zwischen die Lippen und zündete sie an. Dann reichte sie Isabelle eine, schob die Beine ihrer Freundin beiseite und setzte sich zu ihr. Ohne zu reden, rauchten die Frauen und hingen ihren Gedanken nach.
    Über zwei Jahre wohnte Isabelle nun schon in Paris. Sie hatte damals auf Carl gehört und ihre Lehre zu Ende gebracht. Trotzdem hatte ihre Mutter ihr nicht verziehen, daß sie Remo nach Paris gefolgt war, und der ohnehin schwierige Kontakt zwischen ihnen beschränkte sich nur noch auf ein paar Grundregeln der Höflichkeit. Sie telefonierten selten; zum Geburtstag und zu Weihnachten schickten sie einander Karten mit guten Wünschen; ab und zu erhielt Isabelle ein Päckchen aus Hamburg. Sie war sicher, daß es auf die Initiative von Gretel zurückging, stets lag ein Brief von ihr dabei, in dem etwas Geld steckte.
    Von Jon hatte sie nie wieder etwas gehört. Ein halbes dutzendmal hatte sie ihm geschrieben, noch während ihrer Zeit in Hamburg, doch es kam keine Antwort. Anfangs hatte sie fast täglich versucht, ihn anzurufen. Sie wollte sich mit ihm verabreden, ihn sehen, ihm alles persönlich erklären. Doch sie erreichte ihn nie. Er ließ sich von seinem Vater verleugnen. Es war offensichtlich: Daß sie sich mit einem anderen eingelassen hatte, so kurz nach jenem Wochenende in Luisendorf, daß sie ihn verlassen hatte, direkt nach dem Selbstmord seiner Mutter, das konnte und wollte er ihr nicht verzeihen. Sie mußte es, wohl oder übel, akzeptieren. Sie litt darunter, denn sie konnte Jon nicht vergessen. Er war ihr bester Freund gewesen.
    Doch Paris, Mitte der Siebziger eine heitere, kraftvolle, kampflustige Stadt, nahm sie vollkommen gefangen. Remo und Isabelle wohnten in einem Appartement, das in einem Haus aus dem 16. Jahrhundert auf der Ile St-Louis lag, eine Insel inmitten der Seine, gegenüber dem Stadtteil St-Germain und durch Brücken mit ihm verbunden. Eigentlich war es keine billige Wohngegend, begehrt wegen ihrer Lage und ihres Charmes. Remo aber war es gelungen, die alte Dame, der das schiefe Haus mit seinen vier Stockwerken und den verwinkelten Stiegen gehörte, davon zu überzeugen, daß ein aufstrebender Fotograf, ein Künstler, genau der richtige Mieter für die Wohnung war, auch wenn er die Miete nicht aufbringen konnte und sie ihm einen Nachlaß gewähren mußte. Dafür fotografierte er sie, trank mit ihr einmal im Monat Pastis – Madame wohnte im selben Haus, und die Miete mußte bar bezahlt werden – und sprach mit ihr über Willy Brandt und Baghwan, die Ölkrise und die freie Liebe, über Simone de Beauvoir und die neuesten Modetrends.
    Wenn Isabelle an eines der Fenster trat, konnte sie die Seine sehen und die Kirche Notre-Dame. Das war Paris für sie: eine Stadt voller Wahrzeichen, voller Wunder. Sie hatte viel Zeit, alles zu genießen. Zum erstenmal in ihrem Leben war sie richtig frei, und es fühlte sich gut an. Zu Beginn ihrer Pariser Zeit hatte sie Remo assistiert. Aber beide erkannten

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