Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Doch auch das war nur heiße Luft, und als sie es auf eigene Faust probierte, schaffte sie es nicht einmal, an der Concierge, dem Pförtner oder der Empfangsdame vorbeizukommen – in Paris kann es kälter zugehen als irgendwo anders auf der Welt.
Immerhin brachte Remo eines Abends Christin Laroche mit nach Hause.
Bei Spaghetti mit Muscheln, bei Käse und Früchten und ein paar Flaschen billigem Chablis lernten sie sich kennen. Christin war Redakteurin bei der französischen Ausgabe der amerikanischen Modezeitschrift Linda, einem monatlich erscheinenden Hochglanzjournal, das in – aussichtsloser – Konkurrenz zur Vogue oder Elle stand. Isabelle fürchtete zunächst, Christin habe ein Verhältnis mit Remo. Doch darüber lachte ihre Freundin nur. Sie habe weder Lust auf Sex noch auf Liebe, beteuerte sie immer wieder, schon gar nicht mehr auf Männer. «Die machen nur Streß. Und lenken uns vom Wesentlichen ab, oder?»
Trotz ihres französischen Namens war Christin die Tochter eines Lübecker Konditors, der sich aufs Marzipanmachen verlegt hatte und damit pleite gegangen war. Sie hatte mit achtzehn Jahren als Au-pair-Mädchen in einer wohlhabenden Pariser Anwaltsfamilie begonnen und als Exfrau ebendieses Anwalts geendet. Monsieur Laroche war reumütig zu seiner ersten Gattin zurückgekehrt. Eine halb so alte Frau, eine Deutsche zudem, und eine vom Temperament Christins – das konnte er nicht ertragen, bei aller Liebe. Er verstand sein Handwerk so gut, daß er für sein Verständnis bestens aus der Sache herauskam und Christin keinen Pfennig zahlen mußte.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als arbeiten zu gehen. Weil sie kontaktfreudig, lebenslustig und eigenwillig war, die französische Sprache perfekt beherrschte und über einen unbestechlichen und außergewöhnlich guten Geschmack verfügte, fand sie schnell eine Anstellung als Redaktionsassistentin im Moderessort der Linda. Bald darauf wurde sie zur Redakteurin ernannt, und viele Leute in ihrem Umkreis wetteten darauf, daß der Tag nicht mehr weit sei, an dem die Achtundzwanzigjährige zur jüngsten Chefredakteurin Frankreichs gekürt werden würde.
Christin war der Typ «Natürlich können Erdbeeren fliegen! Und wenn sie nicht fliegen können, werfen wir mit ihnen. Dann fliegen sie.»
In dieser Hinsicht war sie Remo ähnlich, und auf diese Weise hatten die beiden sich auch kennengelernt. Geht nicht gibt's nicht: das war auch ihr Wahlspruch. Sie machte das Unmögliche möglich und verschaffte deshalb auch Remo einen Auftrag bei ihrer Zeitschrift. Im Gegensatz zu Remo aber haßte Christin falsche Versprechungen und Aufschneiderei. Was sie sagte, war fundiert und galt. Christin war direkt und laut und lustig, sie war die personifizierte Lebensfreude, und vor allem hatte sie eine Eigenschaft, mit der sie jeden für sich gewann: Sie machte aus allem das Beste, sie gewann allem etwas Positives ab, sie verwandelte schlechte Nachrichten in gute und machte aus guten Jubelfeste. «Man lebt ja nur so kurz. Und ist so lange tot.»
Riesengroß war Christin, spindeldürr und hatte glatte, schwarze, schulterlange Haare, die sie meistens zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Sie behauptete von sich, sie habe zwei verschiedenfarbene Augen. Aber außer ihr konnte das niemand feststellen. Grün waren sie, lebendig und groß, und Christin schminkte sie, als müsse sie Nofretete Konkurrenz machen. Ansonsten war sie schmucklos und schlicht, trug nur Hosen und niemals Parfüm. Sie war wie ein warmer Maisonntag auf dem Land, an dem man zum erstenmal Rhabarberkuchen gegessen hat und nun mit nackten Füßen in einem wild strudelnden Bach steht, um sich zu erfrischen.
Christin war hochaktiv, und sie war eine «Anfasserin». Ständig streichelte, küßte, herzte, drückte sie ihre Freundinnen und Freunde, sie tatschte Leute an, schlug ihnen auf die Schulter, umarmte sie, boxte ihnen in den Bauch, klopfte ihnen auf den Rücken. Sie redete mit Händen und Füßen, wie man sagt, war immer in Bewegung, und wenn sie mal ruhig dasaß (was höchst selten vorkam), dann rollte sie mit den Augen, plinkerte mit ihnen, kniff sie zu, riß sie auf, stierte, starrte, blitzte; sie zog Grimassen, kaute auf ihrer Unterlippe, fuhr sich mit der Zunge von einem Mundwinkel zum anderen, und das nicht nur, wenn ein hübscher Junge in ihre Nähe kam.
Seit damals waren Isabelle und Christin Freundinnen. Beste Freundinnen, wie Isabelle niemals eine gehabt hatte. Zwar hatte sie bisher nichts für Isabelles
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