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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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Serge Reggiani auf, summte zufrieden mit und sortierte seine Fotos. Die Bilder, die er von den astronautenähnlichen Kleidern gemacht hatte, waren erfolgreich veröffentlicht worden.
    «Der Knoten ist geplatzt!» hatte er zu Isabelle gesagt. Und tatsächlich: Er erhielt auf einmal so viele Aufträge, daß er sogar einige ablehnen mußte. Ein Agent meldete sich bei ihm und nahm ihn unter seine Fittiche. Christin unterlag plötzlich einem Sinneswandel. «Hab mich getäuscht!» behauptete sie gegenüber ihrer Freundin. «Er hat's doch!» Sie buchte ihn für eine Modeproduktion, die in der Karibik fotografiert werden sollte und die sie als Redakteurin begleiten würde.
    Remo im Glück. Es ging bergauf mit ihm, und er sah keinen Grund dafür, nun noch Bescheidenheit zu lernen. Er drehte auf. Je mehr Erfolg er hatte, desto größer wurden die Mißtöne zwischen ihm und Isabelle. Sie hatte das Gefühl, in seinen Augen immer mehr zur kleinen Maus zu werden, die piepsend neben ihm herlief.
    Isabelle nahm ein wenig Schaum in ihre Hand und pustete ihn durch das Badezimmer. Regenbogenfarbene Seifenblasen stiegen auf, schwebten schwerelos durch die Luft, zerplatzten. Sie tauchte mit dem Kopf unter, wieder hoch, strich die nassen Haare zurück und besah sich ihre Hände. Sie waren voller Schwielen, am Zeigefinger hatte sie eine Blase. Es war zum Heulen. Wieder mal.
    Diese Monate im Atelier Morny reichten ihr dicke. Die Zeit schien stehengeblieben zu sein. Ihre Hoffnung, daß sie eines Tages Monsieur Morny ihre Entwürfe vorlegen würde, waren unrealistisch, das mußte sie inzwischen selbst einsehen. Sie hatte den Couturier noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Wahrscheinlich war der Mann noch nie in seinem Leben da oben in den Werkstätten gewesen. Die quirlige Madame Fillettes hatte sie, nachdem der Arbeitsvertrag unterschrieben worden war, auch nie wiedergesehen. Das war nun aus ihrem Wunsch geworden, Arbeit zu finden und Paris zu erobern. Am liebsten hätte sie alles hingeschmissen.
    Trotzdem ging sie am nächsten Tag brav wieder ins Atelier, setzte sich still an ihren Platz, öffnete die Schubladen, nahm die Kästchen mit den Perlen und Pailletten heraus und setzte ihre Arbeit vom Vortage fort. Das Kleid vom Haken und aus der Schutzhülle nehmen, es über den Tisch legen, auf dem, damit es nicht verschmutzt wurde, eine Bahn mit Filz ausgebreitet lag. Den Stoff glattstreichen, den Faden auswählen und einfädeln, die Perle mit der Nadel aufspießen und sie akkurat hinter der letzten Perle annähen. Eine nach der anderen. Stück für Stück.
    Knospen entstanden so auf den Roben, weiße Blätter, weiße Blüten; auf Schultern wuchsen Blumensträuße; Zweige umrankten Brüste; über Schultern und Rücken ergossen sich Feuerwerkskaskaden, spien chinesische Drachen Feuer, flatterten Vögel, glitten Schlangen.
    Stündlich kam die Direktrice vorbei und prüfte, einer Aufseherin gleich, schlechtgelaunt die exactitude, die Akkuratesse der Arbeit. Keine farbige Perle durfte sich zwischen den weißen verirrt haben, nicht einmal eine roséfarbene; sie mußten fest angenäht sein, jedoch nicht so fest, daß der Stoff sich verzog. Isabelle, die geglaubt hatte, während ihrer Lehre in Hamburg eine Menge gelernt zu haben, die bis dahin fand, Alma habe sie ganz schön an die Kandare genommen, mußte feststellen, daß sie sich getäuscht hatte. Alles, was sie in ihrem späteren Leben brauchte – fachliche Kenntnisse, Fingerfertigkeit, Sorgfalt und Disziplin, vor allem aber die Einsicht, daß Erfolg darauf beruht, wieder aufzustehen, wenn man hingefallen ist –, das lernte sie in jenen Tagen in einem stickigen Atelier unter den Dächern von Paris.

Kapitel 13
    Merde, merde, merde», rief Christin, rannte durch den Regen, sprang über zwei Pfützen und erreichte schließlich den schützenden Eingang der Brasserie La Coupole, wo Isabelle schon unter dem Vorsprung der überdachten Glasterrasse wartete.
    «Das soll Frühling sein?» Christin riß sich die Baskenmütze vom Kopf. Die Freundinnen küßten sich zur Begrüßung. «Laß uns bloß gleich reingehen. Entschuldige, daß ich zu spät bin. Redaktionsschluß.» Sie wischte sich ein paar Regentropfen aus dem Gesicht und schniefte. Dann betrat sie, Isabelle vor sich herschiebend, das Lokal.
    Es war, wie immer – und besonders am Abend – bummvoll. Isabelle fand, daß die Coupole etwas von einer Bahnhofshalle in den zwanziger Jahren hatte. Kellner mit runden Tabletts voller Meeresfrüchte auf

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