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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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zerstoßenem Eis rannten durch die Gänge. Sie plazierten die Tabletts auf Etageren aus Draht, drehten das Gebilde, um dessen festen Stand zu prüfen, und rasten zurück in die Küche. Die Gäste, die an den kleinen, schlicht eingedeckten Tischen auf Holzstühlen oder roten Lederbänken saßen, beugten sich vor und langten zu. Austern, Muscheln, Krebse, Langusten und Schnecken waren in drei Etagen aufgeschichtet, dazu gab es kleingeschnittene, gebutterte Schwarzbrotscheiben. Es herrschte ein sagenhafter Lärm. Drinnen war es mindestens ebenso laut wie draußen auf dem Boulevard Montparnasse.
    Die jungen Frauen waren am Pult des Maitre stehengeblieben, der würdig wie ein Papst und uncharmant, wie es nur eingefleischte Pariser sein können, in seinem dicken Buch mit den weichen Seiten herumkritzelte, Gäste an Kellner weiterreichte, als wären es lästige Kinder, Speisekarten aus einem hölzernen Fach herausriß und das Garderobenfräulein hastig heranwinkte.
    «Hast du reserviert?» fragte Christin leise.
    Sie waren noch nicht an der Reihe. Vor ihnen stand ein amerikanisches Paar. Eine jahrelange Ehe hatte den Mann und seine Frau zusammengeschweißt. Sie kauten im selben Takt ihr Kaugummi, sie machten die gleichen Bewegungen, sie sahen sich ähnlich. Beide waren dick und so hilflos, als hätten sie noch nie zuvor den Mittelwesten verlassen. Ihr Partner-Look erinnerte an Statisten in einem John-Wayne-Film. Sie trugen Hemden mit Fransen, Lederbänder mit türkisfarbenen, in Silber gefaßten Steinbroschen um den Hals, Jeans und Cowboystiefel.
    «Ich dachte, du hättest!» antwortete Isabelle.
    Ihre Freundin schüttelte den Kopf.
    «Na, dann danke bestens. Wir kriegen nie einen Tisch, guck dich mal um!»
    «Ich bin ja noch nicht so blöd in der Hirse, daß ich nicht eine Lösung finde!» Christin zog ihren kurzen, schwarzen, weitschwingenden Regenmantel aus, schüttelte ihn wie einen Regenschirm (die Dame hinter ihr trat pikiert einen Schritt zur Seite), und reichte ihn Isabelle. «Warte mal!» Sie knöpfte ihre Bluse um drei Knöpfe weiter auf, schob die Amerikanerin beiseite und drängelte sich an den Tresen. Isabelle folgte ihr.
    «No pos-siblä, Mister Misjöh?» radebrechte der Amerikaner. Der Maitre bleckte seine gelben Zähne und machte eine Handbewegung, die Bedauern ausdrücken sollte. «Votre nom, Monsieur?» Der Amerikaner verstand nicht.
    «Das liebt der Franzose», sagte Christin zischend, «jetzt kann er auftrumpfen gegenüber den verhaßten Touristen, die ihn ernähren.» Sie lehnte sich auf den Tresen. Der Maitre zog eine Augenbraue hoch, sagte nichts und guckte voller Empörung auf Christins Arm. Christin lächelte ungerührt und legte ihr Dekolleté fast vollständig frei. «Hi!» sagte sie zu dem Amerikaner. «May I help you?»
    Der Maitre stierte in Christins Ausschnitt. Sie legte ihre Hand auf seine Hand. «Ecoutez», gurrte sie, «mon cher ...» Der Maitre hörte ihr zu. Innerhalb von zwei Minuten hatte sie alles geregelt. Das amerikanische Ehepaar hatte seinen Tisch, und sie und Isabelle hatten den ihren, direkt auf der anderen Seite des Ganges. Kaum hatten die Freundinnen sich ihre Zigaretten angezündet, kam auch schon der Kellner, schleppte einen Kübel heran, in dem Wasser schwappte und Eiswürfel klirrten, und servierte ihnen, auf Kosten des nun sichtlich zufriedenen Amerikaners, eine Flasche Champagner. Sie hoben dankend die Gläser, riefen laut «cheers» und «have a good time» und «enjoy!» und hatten an diesem Abend Freunde fürs Leben gewonnen.
    «Der Champagner kommt gerade recht», erklärte Christin und drückte ihre Gauloise aus. «Was nimmst du?»
    «Nur einen Salat und einen kleinen St-Pierre.» Isabelle klappte die Speisekarte wieder zusammen.
    «Warum das denn?»
    «Mir ist nicht wohl irgendwie. Ich bin so kaputt. Todmüde.»
    Christin nahm ihre Aktenmappe, zog den Reißverschluß auf und wühlte darin herum. Ein Manuskript kam zum Vorschein, Fotos, ein Päckchen Zigaretten, Kaugummi, eine Sonnenbrille, ein rotweißes Nickituch, ein Stift, ein angebissener Apfel. Sie breitete alles vor sich auf dem Tisch aus, als wären es Kunstwerke einer Ausstellung. «Frauen und ihre Taschen ... hier», sie donnerte ein Päckchen Tabletten auf den Tisch, «A.N.1, darauf schwöre ich.»
    Isabelle nahm die Schachtel hoch und besah sie skeptisch.
    «Nein wirklich, die machen munter, du denkst, es ist früher Morgen, du bist gerade erst aufgestanden und ein herrlicher Tag liegt vor dir. Zwei.

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