Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
was ich meine.»
«Du bist doch glücklich mit ihr. Das hast du mir auch in Paris gesagt. Und ich sehe, was ich sehe.»
Jon antwortete nicht. Er schloß die Augen, senkte den Kopf ein wenig und drückte mit dem Zeigefinger und Daumen der linken Hand auf seine Nasenwurzel, so, als plagten ihn Kopfschmerzen. «Sie ist so arglos», murmelte er, «so ahnungslos.» Er öffnete die Augen wieder und sah Isabelle an.
Sie zog eine Augenbraue hoch. «Arglos? Ahnungslos?»
Er nickte.
Isabelle schüttelte den Kopf. «Ich glaube, du unterschätzt sie ganz schön.»
Jon schob seine Hand langsam über die Tischdecke und umklammerte Isabelles Handgelenk fest. «Ich sage es dir jetzt dieses eine Mal. Ich sage es dir, weil wir einen Moment allein sind, weil ich betrunken bin und weil ich es sagen muß. Ungeschützt, ganz gleich, was es für dich bedeuten mag: Ich liebe dich.»
Sie schaute ihn ruhig an. Wie gleißende Lichtstrahlen trafen sich ihre Blicke und verschmolzen miteinander.
«Ich liebe dich, Isabelle», wiederholte er noch einmal. Dann ließ er sie los, stand auf und ging an den Schrank, der in einer Ecke des Wohnzimmers stand. Er öffnete ihn, nahm ein in Glanzpapier eingeschlagenes Päckchen heraus, kam zu Isabelle an den Tisch zurück und überreichte es ihr. «Von mir für dich. Aber erst Weihnachten auspacken.»
«Danke!» Sie betrachtete das schwere, flache, rechteckige Geschenk. «Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, Jon.»
«Es reicht ja schon, was ich gesagt habe.»
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und beschwingt und auf Zehenspitzen kam Hellen zurück, das Glück selbst. Behutsam lehnte sie die Tür wieder an, ging zum Plattenspieler und drehte die Musik ein wenig leiser. «Er schläft ganz friedlich ... Ein schlafendes Kind, das ist der Frieden ...» Sie hörte auf zu sprechen, blieb mitten im Wohnzimmer stehen und sah erst zu Jon, der sich gegen die Fensterbank gelehnt hatte, und dann zu Isabelle, die im Begriff war, aufzustehen.
«Ich wollte gerade gehen.»
«Aber morgen ist Samstag, da kannst du ausschlafen», wandte Hellen ein.
«Ich arbeite auch am Samstag», erwiderte Isabelle und fügte lachend hinzu: «Ihr kennt eben Puppe Mandel nicht.»
Jon wollte ihr ein Taxi rufen, aber Isabelle zog es vor, noch ein bißchen frische Luft zu schnappen und danach mit der letzten S-Bahn nach Hause zu fahren. Sie bedankte sich für den schönen Abend, verabschiedete sich freundlich und machte sich – nachdem alle einander ein baldiges Wiedersehen versichert hatten – auf den Weg. Draußen auf der Straße schlug ihr die Winterkälte ins Gesicht.
Sie klappte den Kragen ihres Mantels hoch, stemmte sich gegen den Wind, der um die Ecken fegte, und ging, so schnell sie konnte, in Richtung Bahnhof.
Als sie endlich in der ersten Klasse der S-Bahn saß, müde aus dem Fenster schaute, die Stadt vorbeirasen sah und über den Abend nachdachte, spürte sie plötzlich einen unbändigen Drang, das Geschenk von Jon auszupacken. Sie knotete das goldene Bändchen auf und riß das Papier auseinander. Zum Vorschein kam ein schöner, reicher Bildband, der den Garten des Malers Claude Monet zeigte und dazu die berühmtesten Gemälde dieses französischen Impressionisten: die Seerosen. Getupfte Töne, schimmerndes Licht, Schatten, die nebelgleich heranschwebten, filigrane Trauerweidenzweige, die sich wie Vorhänge vor das Wasser schoben, die Blätter der Seerosen, die zu fließen schienen, ihre Knospen und Blüten, die traumgleich schwammen und leuchteten. Es waren Bilder, die etwas von einem Märchen hatten, die einem Zauber glichen, federleicht und schön und vergänglich; waren Impressionen, Monets Eindrücke, die in Isabelle Erinnerungen wachriefen, ihr so vertraut waren. Es waren ihre Seerosen. Es war ihr geliebter Seerosenteich. Vorne in das Buch hatte Jon mit Tinte eine Widmung hineingekritzelt: «Rosen der Liebe verwelken nicht. Für Isabelle von Jon. Weihnachten 1977.» Isabelle war gerührt. Sie klappte das Buch zu und nahm sich vor, sich nicht mehr bei Jon zu melden. Sie wollte die Freundschaft einschlafen lassen, so schmerzlich es auch sein würde. Es hatte keinen Zweck, würde nur Schmerzen verursachen – für alle Beteiligten.
Jon und seine Frau lagen um diese Zeit bereits im Bett. Sie hatten noch schnell aufgeräumt, denn Jon war ein Ordnungsfanatiker und haßte es, am nächsten Morgen die Reste vom Vorabend beseitigen zu müssen.
Hellen kuschelte sich in seinen Arm. Die Nachttischlampe hatte
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