Der Seewolf
doch nicht richtig sein«, schloss Maud Brewster.
»Diese Frage müssen Sie mit Mr van Weyden klären«, sagte Wolf Larsen. »Er ist eine Autorität in Fragen von Recht und Unrecht. Ein einfacher Seemann wie ich schätzt die Dinge etwas anders ein. Sie haben vielleicht Pech, dass Sie bei uns bleiben müssen. Für uns ist es sicherlich ein Glück.« Er betrachtete sie lächelnd und sie schlug die Augen nieder, doch nur für einen Moment. Dann sah sie mich an.
»Was meinen Sie?«
»Dass es schlimm ist, besonders, wenn Sie während der nächsten paar Monate Verpflichtungen haben. Aber da Sie ja aus gesundheitlichen Gründen nach Japan reisen wollten, so können Sie sich auf der Ghost bestimmt genauso gut erholen.«
Ihre Augen blitzten mich zornig an und ich merkte, dass ich errötete. Was hätte ich tun sollen?
»Mr van Weyden weiß, wovon er redet.« Wolf Larsen lachte. »Er hat sich hier wunderbar entwickelt. Sie hätten ihn sehen sollen, als er an Bord kam! Eine erbärmlichere Kreatur kann man sich kaum vorstellen, stimmt's, Kerfoot?«
Kerfoot ließ bei dieser direkten Anrede erschrocken sein Messer fallen, grunzte aber zustimmend.
»Sehen Sie ihn an«, fuhr Wolf Larsen fort. »Sicher, man kann ihn nicht gerade als Muskelprotz bezeichnen. Dennoch besitzt er Muskeln. Dem war nicht so, als er an Bord kam. Er hat jetzt auch Beine um darauf zu stehen. Sie werden es nicht glauben, aber früher konnte er nicht allein stehen!«
Die Jäger kicherten, aber in Maud Brewsters Augen las ich Mitgefühl, das mich für Larsens schreckliches Benehmen entschädigte. Es war so lange her, dass ich Mitgefühl erfahren hatte. Daher wurde ich in diesem Moment frohen Herzens ihr williger Sklave.
»Ich habe vielleicht gelernt, auf meinen eigenen Füßen zu stehen«, konterte ich Wolf Larsen, »jedoch trample ich damit nicht auf anderen Menschen herum.«
»Dann ist Ihre Erziehung erst zur Hälfte abgeschlossen«, sagte er ungerührt. Wieder wandte er sich an Miss Brewster: »Wir sind sehr gastfreundlich auf der Ghost und bieten jede nur mögliche Bequemlichkeit. Das können Sie bestätigen, nicht wahr, Mr van Weyden?«
»Bestimmt. Sogar Abwaschen und Kartoffelschälen. Und wenn man Glück hat, wird einem als Dreingabe der Hals umgedreht!«
»Ziehen Sie bitte keine falschen Schlüsse aus solchen Äußerungen«, bat Wolf Larsen in gespielter Furcht. »Obwohl ich ihn sehr schätze, ist Mr van Weyden manchmal ein bisschen streitsüchtig. Das erkennen Sie auch an dem Dolch in seinem Gürtel. Erst gestern hat er mir gedroht, dass er mich umbringen werde!«
Ich kochte vor Wut, doch es ging noch weiter.
»Sehen Sie, nicht mal in Gegenwart einer Dame kann er sich beherrschen. Ich sollte mich besser bewaffnen, bevor ich das nächste Mal mit ihm an Deck gehe. Schlimm, schlimm!«
Die Jäger brachen in brüllendes Gelächter aus. Ich war ihr Benehmen gewohnt, doch wie mussten diese rohen Gesellen auf Maud Brewster wirken: ihre robuste Kleidung, die gemeinen Gesichter, das wüste Lachen?
Und wie wirkte ich selbst auf sie? Meine Hände waren rot und voller Blasen, die Fingernägel schwarz gerändert. Ich hatte Bartstoppeln im Gesicht und einen Riss im Ärmel, an meinem Hemd fehlte ein Knopf. Dazu der Dolch ... All das musste ihr ziemlich merkwürdig erscheinen.
Doch sie hatte den Spott in Wolf Larsens Worten bemerkt und bedachte mich wieder mit einem mitfühlenden Blick.
»Vielleicht kann mich ein vorüberfahrendes Schiff aufnehmen«, meinte sie.
»Die gibt es hier nicht«, erhielt sie als Antwort. »Nur andere Robbenschoner.«
»Aber ich habe keine Kleider dabei, überhaupt nichts!«, wandte sie ein. »Wie Sie bemerkt haben werden, bin ich kein Mann, und das Vagabundenleben, das Sie und Ihre Leute führen, liegt mir nicht.«
»Je eher Sie sich daran gewöhnen, desto besser«, erwiderte er. »Ich werde Ihnen Stoff, Nadel und Faden zur Verfügung stellen. Es wird hoffentlich keine unzumutbare Plage für Sie sein, sich ein Kleid oder zwei zu nähen.«
Ich sah Maud Brewster an, dass sie sich bemühte, ihre Angst und Verwirrung nicht zu zeigen.
»Vermutlich sind Sie wie Mr van Weyden daran gewöhnt, dass andere Leute für Sie arbeiten. Womit verdienen Sie denn Ihren Lebensunterhalt?«
Verblüfft sah sie ihn an.
»Ich meine das nicht böse, glauben Sie mir«, fuhr er fort. »Der Mensch isst, also muss er arbeiten. Diese Männer hier schießen Robben, damit sie leben können. Ich führe diesen Schoner und Mr van Weyden verdient sein
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