Der Seher des Pharao
das ist – ein Priester sagt zwei Worte, und schon gehen die Gerüchte um.« Er brach ein Stück Gerstenbrot. »Mein Vater ist der Oberpriester im Nechbet-Tempel von Necheb. Das ist sehr weit im Süden, aber er hat schon von dir gehört.« Er stippte sein Brot in die wohlriechende Brühe in seinem Teller.
Huys Magen krampfte sich zusammen. »Es stimmt, dass ich mich mit dem Meister beraten will«, begann er vorsichtig, »aber als Schüler, nicht als Seher. Ich habe die Aufgabe, hier etwas zu studieren. Und was meine Gabe zur Wahrsagerei angeht – die ist noch nicht bewiesen. Erzähl mir von Necheb. Dort werden viele Schiffe gebaut, nicht wahr?«
Der Junge lachte kurz auf. »Du sprichst wie ein königlicher Diplomat«, entgegnete er nicht unfreundlich. »Verzeih mir, Huy. Wahrscheinlich belästigen dich die Leute ständig, aber du musst zugeben, dass meine – unsere – Neugier nur natürlich ist. Ja, Necheb ist eine hochberühmte Stadt. Zur Zeit unseres großen Befreiers Osiris Ahmose und seines verfluchten Bruders Kamose wurden hier Schiffe für die Setiu-Eroberer gebaut, und es kam zur Schlacht um die Werften. Der berühmteste Sohn der Stadt ist der Admiral Ahmose Pen-Nechbet. Du musst in der Schule von seinen Heldentaten gehört haben. Er ist derjenige …«
Huy hörte nur scheinbar zu, denn er war abgelenkt. Etwas zwischen den Köpfen der Jugendlichen hatte ein ungutes Gefühl in ihm ausgelöst.
Ib kam in Begleitung eines Dieners zurück, der Tabletts mit Essen trug, nahm seinen Platz wieder ein und tat sein Möglichstes, Huy in ein höfliches Gespräch zu verwickeln. Huy war der Appetit vergangen, aber er zwang sich, etwas zu essen. Der Wächter, der hinter ihm stand, legte seinen Speer auf den Boden und ließ es sich schmecken. Es erschien Huy wie eine Ewigkeit, bis Ib aufstand, um Ruhe bat, das Gebet, das die Mahlzeit beendete, sprach und die Schüler entließ. »Brauchst du eine Begleitung zurück in deine Kammer?«, fragte er unter dem allgemeinen Scharren und Murmeln. »Ich nehme an, du wohnst im Priesterquartier.«
Huy schüttelte den Kopf. »Danke, Ib, aber ich weiß den Weg. Außerdem möchte ich mir eine schattige Stelle im Tempelgarten suchen und im Freien schlafen.«
»Gut. Doch wenn du etwas aus der Schule brauchst, schick einfach einen Diener zu mir. Ich hoffe, wir sehen uns noch.«
Der Saal hatte sich geleert. Der Wächter nahm seinen Speer, und zusammen gingen sie durch den Unterrichtssaal. Als Huy in den dunklen Gang dahinter einbiegen wollte, schoss ein Arm hervor und hielt ihn auf. »Du glaubst, du bist etwas Besseres, Sohn des Drecks«, zischte eine bekannte Stimme. »Du glaubst, du bist eine Art Gott, weil die Priester ihre Nasen auf die Knie drücken, wenn du vorbeigehst. Aber du bist nichts als eine Missgeburt mit deinem Haar, das wie bei einem Mädchen über die Schultern hängt, und deiner aufgeblasenen Wichtigtuerei. Eines Tages werden sie die Wahrheit erkennen. Du bist eine Krankheit, Uchedu, ein Wurm im Gedärm des Tempels.«
»Sennefer«, sagte Huy ruhig, obwohl sein Herz raste. »Ich habe dich im Speisesaal nicht erkannt. Aber jetzt erinnere ich mich. Hierher wurdest du geschickt.«
»Als wenn du das nicht wüsstest! Du hast mein Leben zerstört, Bauer. Ich hätte dich unter Wasser drücken und sicherstellen sollen, dass du tot warst, ehe der kleine Schwächling Thutmosis mit Hilfe angerannt kam.« Sein grobes Gesicht war rot, und seine Augen funkelten. »Du hast es geschafft, Vorteile aus deiner Wunde zu ziehen, nicht wahr, ganz wie ein verlogener Bauer.« Er kam dicht heran, sein Körper steif vor Wut. Aber jetzt griff der Wächter ein, zog sein Schwert und trat zwischen sie.
»Verschwinde, Hündchen«, sagte er nachsichtig, »ehe dir meine Klinge Manieren beibringt. Und wenn du dich noch einmal an meinen Schützling heranwagst, fließt Blut.«
»Derselbe Feigling wie immer«, schnaubte Sennefer, aber er trat zurück. Im selben Moment hatte Huy das Gefühl, hochgehoben zu werden, obwohl seine Füße fest auf dem Boden blieben. Nein!, schrie er stumm, aber in seinen Kopf wirbelte es. Trotz des starken Wunsches wegzurennen, zwang eine noch stärkere Kraft seine Hand, Sennefers Handgelenk zu packen. Der andere Junge wurde sofort still. Huy fand sich auf einem Schlachtfeld wieder. Männer schrien ohrenbetäubend, Staub schnürte seine Kehle ein, die der Schrecken bereits ausgedörrt hatte. Er klammerte sich hustend und schluchzend an den Korb eines umgekippten
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