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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Streitwagens, zu seinen Füßen lag ein totes Pferd. Irgendwer brüllte ihn wütend an, doch die Worte blieben in dem Gewühl unverständlich. Dann spürte er einen Schlag auf den Rücken und fiel vornüber auf den Wagen. Blut lief ihm über das entsetzte Gesicht und bildete Muster auf dem Wagenboden, der senkrecht in die Luft ragte. Er bekam keine Luft mehr. Dunkle Flecke sammelten sich vor seinen Augen, und der Lärm der Schlacht wurde leiser und leiser. Die Angst leerte sein Gedärm. Er wusste, dass er starb.
    Aber er starb nicht. Er stand in einem düsteren Gang im Thot-Tempel und krallte sich so fest in Sennefers Unterarm, dass dessen Haut weiß wurde. Ein dumpfer Schmerz begann hinter Huys Augen zu hämmern. Mühsam lockerte er den Griff, und Sennefer rieb sofort die Abdrücke, die seine Finger hinterlassen hatten.
    »Was hast du mit mir gemacht, du Wahnsinniger!«, schrie er.
    Huy wollte lachen, aber gleichzeitig schämte er sich ob seiner Gehässigkeit. »Du wirst in einer Schlacht sterben, Sennefer. Vielleicht kannst du dieses Schicksal abwenden, wenn du dich änderst, vielleicht auch nicht – ich weiß es nicht. Ich erzähle dir nur, was ich gesehen habe. Und jetzt verschwinde und lass mich in Ruhe.«
    Sennefer war blass geworden. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, besann sich dann aber eines Besseren, sah auf sein Handgelenk, warf Huy einen finsteren Blick zu und drängte sich unter Einsatz seiner Ellbogen zurück in den Unterrichtssaal.
    »Dann bist du wirklich ein Seher?«, fragte der Wächter, als er Huy durch den Gang folgte. »Wenn ich dir meine Hand gebe, kannst du meine Zukunft erkennen?«
    Erschöpft blieb Huy stehen, drehte sich zu ihm um und legte, ohne zu fragen, zwei Finger auf seine schwielige Hand, die immer noch das Schwert gepackt hatte. Der Wächter stieß einen überraschten Ton aus, zuckte aber nicht zurück. Huy lächelte ihn an. »Wie ist dein Name?«
    »Anhor, nach dem Kriegsgott. Mein Vater ist auch Soldat.«
    »Dienst du gern im Tempel von Iunu, Anhor?«
    Der Mann ächzte. »Manchmal ist es schon langweilig, aber es bringt mir mein Brot und meine Zwiebeln ein. Warum fragst du?«
    »Weil du in fünf Jahren in den Krieg ziehen, ihn überleben und danach eine Entscheidung treffen wirst, die dein ganzes restliches Leben beeinflusst.«
    Anhor hob die Augenbrauen. »Und was ist das?«
    »Nun, wenn ich es dir sage, ist es ja keine Entscheidung mehr, oder?«
    Anhor kicherte. »Frechdachs. Dann muss ich bloß auf das Ende dieses Krieges oder was immer es ist warten, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wo der stattfinden soll. Der Gute Gott ist alt, und in den Vasallenländern herrscht seit Jahren Ruhe.«
    Huy seufzte. »Ich kann nur berichten, was ich sehe. Mehr nicht. Ich glaube, ich will nicht mehr in den Garten gehen. Ich will in meinem Bett schlafen, und du kannst dir den Strohsack draußen ausrollen. Was für ein verdammtes Pech, Sennefer hier zu treffen!«
    »Was hast du ihm getan?«, erkundigte sich Anhor, aber Huy war schon weitergegangen und wollte nicht darauf antworten.
    Er hat mein Leben zerstört, dachte er später, als er auf seinem Bett lag und nicht schlafen konnte. Aber es ist auch wahr, dass ich indirekt seines zerstört habe. Die Strafe, die er bekommen hat, mag gerecht sein, aber sie ist auch bitter. Er ist in Ungnade gefallen und hat für immer das Adelsprivileg, ein Wurfholz zu benutzen, verloren, doch sicher wiegt sein frühes Ende, das ich für ihn vorausgesehen habe, auf der Waage der Maat den Angriff auf mich bei weitem auf. Ich hingegen bekomme alle Möglichkeiten, mich über den Stand meines Vaters zu erheben, und genieße den Respekt bedeutender Männer, ohne selbst etwas dafür getan zu haben. »Missgeburt.« Huy drehte sich ruhelos angesichts der Verletzung, die die Anschuldigung bedeutete. In der Tat, das bin ich. Die Segnungen, die über mir ausgeschüttet werden, haben nichts mit meinem Wesen zu tun, und ich lebe nur aus einer Laune der Götter – oder des Gottes – heraus. Sennefer hat mir schweren Schaden zugefügt, aber daraus ist Gutes entstanden. Ich muss mit ihm sprechen, mich äußerlich für die Feindschaft zwischen uns entschuldigen und innerlich Abbitte tun für die jähe Freude, die die Vision seines Todes in mir ausgelöst hat. Können wir uns überhaupt vertragen? Wie würde ich mich fühlen, wenn er gesagt hätte, dass mein Leben im Getümmel und Gestank der Schlacht enden wird? Ich war zu ihm genauso grausam gewesen wie er zu mir.

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