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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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leuchtete dabei. Obwohl sich die Furchen um Augen und Mund vertieften und Huy ihn zuvor als Mann in den späten mittleren Jahren eingeschätzt hatte, wirkte er jung und energisch.
    Huy streckte die Hand aus. »Wenn man es mir gestattet, werde ich kommen und das Buch mit dir erörtern. Aber das wird noch ein paar Jahre dauern, glaube ich.« Die Finger, die sich um seine Hand schlossen, waren kräftig und vom Wasser kalt.
    »Natürlich. Du musst die Schule abschließen und deinen Lebensunterhalt verdienen. Mögen die Götter dir Gesundheit schenken und mir ein Leben, das lange genug währt, um dich als Erwachsenen wiederzusehen.« Er verbeugte sich. »Iss heute Abend mit uns. Wir sind nicht zu ernst. Der Heka von Thot ist gesund und fröhlich.« Er trottete davon, und seine nackten Füße hinterließen feuchte Abdrücke auf den Steinen. Anhor pfiff leise. »Können wir jetzt bitte einen Augenblick in den Schatten gehen? Ich bin müde.«
    Sie gingen unter die Sykomoren. Huy saß im Schneidersitz und beobachte des Spiel von Licht und Wind auf der Wasseroberfläche. Ja, dachte er, Thots Zauber ist als stark, beständig und ruhig, doch mit einer gewissen Vorsicht behaftet zu spüren. Res Heka in Iunu ist wild, beunruhigend und unvorhersehbar, und ich bin gespannt oder belebt, aber nicht einfach ruhig. Hier dominiert Ruhe, aber auch eine Warnung liegt in der Luft, lauert auf eine Blasphemie, eine Beleidigung, Momente der Arroganz. Hier müssen die Texte der Gebete stimmen, die Riten genau befolgt werden. Woher weiß ich das? Er schloss die Augen. Seschat schreibt auf die Blätter des Isched-Baums, und Imhotep sitzt lesend darunter.
    An diesem Abend wusch er sich im Badehaus der Priester, flocht sein Haar, band es sorgfältig mit seinem kleinen Frosch zusammen, zog seine besten Sandalen an und ging zum Essen zu den Priestern. Sie begrüßten ihn freundlich, plauderten mit ihm über seine Familie und seinen Schulunterricht, wünschten ihm nach dem Essen eine angenehme Nacht und begaben sich selbst zur Ruhe oder gingen ihren Pflichten nach. Nach den Erfahrungen am Mittag war das eine große Erleichterung. Doch Huy beschloss, den Schulbereich ein weiteres Mal aufzusuchen, um mit Sennefer zu reden. Aber nicht jetzt, sagte er sich, als er mit Anhor durch den von Fackeln erhellten Gang zu seiner Kammer ging. Ich muss hier erst selbstsicherer sein, ehe ich das Risiko einer weiteren Demütigung eingehe.
    Ein Diener hatte das Laken auf Huys Bett zurückgeschlagen und eine brennende Lampe neben die Statuen von Thot und Chenti-Cheti gestellt. Das Krokodillächeln seines Lokalgotts schien einen selbstgefälligen Stolz zu enthalten, in so erlauchter Gesellschaft sein zu dürfen. Huy lächelte beide schläfrig an und begann mit seinen Nachtgebeten. Auch wenn er das gern getan hätte, haspelte er die Worte nicht herunter. Es wäre nicht gut gewesen, einen der Götter so früh auf dieser merkwürdigen Reise zu beleidigen, die er mit jener schicksalhaften Antwort an Imhotep auf sich genommen hatte. Nachdem er sich zum letzten Mal niedergeworfen hatte, drehte er die Lampe herunter und entdeckte, dass man ihm einen Krug mit Wasser, einen leeren Becher und einen Becher mit Wein auf die Kleidertruhe gestellt hatte. Vorsichtig probierte er den Wein. Er schmeckte die Süße von Granatäpfeln in der Kehle, nahm einen weiteren Schluck und ging zur Tür. Anhor saß, die nackten Beine quer über den Gang gestreckt und den Rücken an die Wand gelehnt, auf seinem Strohsack. »Trink ihn aus, wenn du magst«, sagte Huy und reichte ihm den Wein. »Und wenn du heute Nacht Wasser brauchst: Ich habe welches in meiner Kammer.«
    »Das ist nett von dir«, antwortete der Wächter und nahm den Becher. »Danke. Mögen dich die Götter vor den Dämonen der Finsternis schützen und dir in deinen Träumen ein gutes Omen zeigen.«
    Als Anhor den Becher mit seinen kräftigen, fleischigen Händen zum Mund führte, stieg in Huy das Bild seines Vaters auf. Er blieb stehen. Hapu saß oft in genau derselben Haltung da, wenn ihm Itu das Abendessen auf den Tonteller tat, den Bierbecher im halbnackten Schoß gepackt, mit hängenden Schultern, erschöpft von der harten Feldarbeit. Beide Männer waren muskulös und von der Sonne gebräunt, beide umgab die Aura körperlicher Überlegenheit, und während Hapu gegen Dürre, Unkraut und Pflanzenkrankheiten kämpfte, vermittelte Anhor eine beruhigende Sicherheit vor eher menschlichen Gegnern. Und er besaß eine raue Herzlichkeit, wie

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