Der Seher des Pharao
äußeren Verletzung und habe eine äußerliche Strafe dafür bekommen, unabhängig, ob ich das hinter mir lassen kann oder nicht. Aber wo liegt deine wahre Schuld, Sohn des Hapu? Wer würde es wagen, dich zu bestrafen?« Er wandte sich an den Vorsteher. »Entlass mich, Meister. Die Zeit des Nachmittagsschlafs ist fast vorüber, und ich muss mich waschen.« Er wartete nicht auf die knappe Geste ab, die der Vorsteher schließlich machte, sondern verbeugte sich, schob Anhor zur Seite und rannte über das trockene Gras davon.
Huy fiel auf den Hocker und beugte sich vor. Ein Becher wurde ihm in die Hand gedrückt. Durstig trank er das Wasser, gab den Becher zurück und wischte sich das Gesicht mit seinem Schurz ab.
»Bist du zufrieden?«, fragte der Vorsteher. »Kannst du etwas sagen, das es mir und seinen Lehrern leichter machen würde, freundlich zu Sennefer zu sein?«
Huy schüttelte den Kopf. Du bist seiner Meinung, dachte er plötzlich. Für dich bin ich ein Emporkömmling und zudem ob meiner Gabe zu beneiden. Vielleicht auch zu fürchten. Er blickte auf und sah seine Gedanken im Gesicht des Vorstehers widergespiegelt. »Ich danke dir für deine Nachsicht heute, Meister«, sagte er, stand auf und verbeugte sich. »Es tut mir leid, aber ich kann nicht vor deinen Schülern sprechen. Sag ihnen, was du willst.« Er ging abrupt weg, war froh, die Sonne auf seinem Kopf zu spüren, Anhor neben sich zu haben und zu merken, dass die Angst in seinem Magen langsam abnahm. »Ich möchte wieder ein Kind sein, Anhor«, platzte er heraus. »Ich bin so einsam.« Der Soldat antwortete nicht, legte aber kurz die Hand auf Huys Schulter.
Sie gingen zurück zu Huys Kammer, Huy legte sich aufs Bett, Anhor mit einem erleichterten Grunzen auf seinen Strohsack. Der Nachmittagsschlaf war vorbei, und im Gang waren Stimmen und Schritte zu hören, doch Huy war erschöpft und kümmerte sich nicht darum. Er wusste, dass ihn niemand stören würde: Die Priester hatten ihre Pflichten, und falls Mentuhotep nach ihm schicken wollte, würde man davon ausgehen, dass er sich zum Nachdenken zurückgezogen hätte. Meine Schuld liegt in der Entscheidung, die ich zu Imhoteps Füßen getroffen habe, dachte Huy. Aber natürlich kann ich für die naive Unkenntnis nicht bestraft werden. Und bezahle bereits den Preis. Vor dem Gesetz bin ich noch drei Jahre lang ein Kind und trage doch eine Last mit mir herum, die nur Priester begreifen können – und selbst deren Einsicht ist begrenzt. Ich bin allein. Es ist keine Selbstgerechtigkeit, Sennefer, es ist Selbstmitleid, was ich heute verspüre. Morgen werde ich um den Kommentar bitten. Ich werde ihn mit dem Oberpriester erörtern, ich werde Amunmose rufen lassen, ich werde Thot Reverenz erweisen und nach Iunu zurückkehren. Trotz seiner geschwollenen, brennenden Augen und den leichten Magenschmerzen schlief er ein.
Zu seiner Erleichterung musste er am nächsten Morgen gar nicht erst um den Kommentar bitten. Als er ins Arbeitszimmer des Oberpriesters kam, stand schon eine geöffnete Schatulle auf dem Tisch, und eine in Leinen gewickelte Papyrusrolle lag daneben. Mentuhotep begrüßte ihn und bot ihm einen Sitzplatz an. »Du siehst krank aus«, sagte er. »Das Gespräch mit Sennefer gestern hat dich aufgeregt. Ich weiß alles darüber – der Vorsteher hat es mir berichtet. Es tut dir nicht gut, Huy, dass derjenige, der dich verletzt hat, so nahe ist. Ich denke, ich werde versuchen, Sennefer auf eine andere Schule zu verlegen, ehe du für den vierten Teil des Buches zurückkommst.«
Huy sah ihn entsetzt an. »Meister, bitte tu das nicht! Ich selbst habe mich viel mehr aufgewühlt als Sennefer. Wenn du weißt, was gesagt wurde, weißt du auch, warum. Soll er immer wieder bestraft werden?« Und sein Ende ist schrecklich, hätte Huy am liebsten hinzugefügt. Lasst ihn in Ruhe, damit er das Leben genießen kann, das ihm noch bleibt. Aber er wollte mit Mentuhotep noch weniger über seine Gabe sprechen als mit dem Vorsteher. Es wäre, als würde er sein Haar anheben und die hässliche Narbe jemandem gegenüber enthüllen, der schmutzige Interessen verfolgte.
»Nun, ich werde die Berichte über Sennefers Fortschritte und sein Betragen lesen, wenn du weg bist, und meine Entscheidung danach treffen«, sagte Mentuhotep mit schwerer Stimme. »Wenn er nach dem Gespräch mit dir noch ungebärdiger wird, muss er gehen. Niemand kann die Seele eines anderen heilen, Huy, und es war falsch, das zu versuchen. Das war anmaßend
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