Der Seher des Pharao
sollte.
Doch früh am nächsten Morgen tauchte ein Tempeldiener in der Tür auf, verbeugte sich und gab ihm einen Papyrus. »Das hat gerade ein Bote aus Hut-Herib gebracht«, sagte der Mann. »Außerdem soll ich dir vom Oberpriester ausrichten, dass deine neue Kammer gesäubert ist und du sie beziehen kannst, sobald du deine Kiste gepackt hast. Ruf mich dann, Huy, damit ich dir beim Tragen helfen kann.« Er ging mit einer weiteren Verbeugung hinaus. Huy, der gerade auf dem Weg ins Badehaus gewesen war, legte die sauberen Sachen ab und brach das Siegel der Rolle mit fliegenden Fingern. Das Blatt war mit Methens gleichmäßigen, akkuraten Zeichen bedeckt. Mit dem Rücken zum Bett ließ er sich auf den Boden plumpsen.
Teuerster Huy, ich gratuliere dir herzlichst zum Abschluss der Schule. Zweifellos ist die Aussicht auf Freiheit ebenso aufregend wie beängstigend für dich. Ich habe deine Bitte aufs Sorgfältigste abgewogen, sie Chenti-Cheti vorgelegt und ihn mit einem Opfer um einen klaren Geist gebeten. Du teilst mir nicht mit, warum du nicht in Iunu bleiben und für Ramose arbeiten willst. Solch eine Position würde künftige Beförderungen garantieren. Ich kann dir nur eine bescheidene Arbeit anbieten, entsprechende Verpflegung und ein kleines Lehmziegelhaus mit drei Zimmern in der Nähe des Tempels. Überlege es dir gut. Natürlich kann dich Ramose nicht zwingen, in seinem Tempel zu bleiben, aber möchtest du wirklich ein namenloser, von Armut bedrohter Schreiber im Dienste eines unbedeutenden Gottes sein? Hut-Herib hat viele traurige Erinnerungen für dich. Ich habe den Mitgliedern deiner Familie, die ich ab und an treffe, nichts von der Sache erzählt. Natürlich bist du hier willkommen. Lass mich deine Entscheidung wissen.
Dein Freund Methen, Oberpriester im Dienste von Chenti-Cheti.
Ein warmes Gefühl der Erleichterung durchflutete Huy. Er presste den Papyrus an die Brust und schloss die Augen. Namenloser, ja, lieber Methen. Von Armut bedroht? Das wird mühsam, aber es ist mir egal. Kein Festmahl mehr in den Häusern der Adeligen, keine Feiern auf dem Schiff und keine teuren Geschenke mehr, keine Illusionen ob der eigenen Wichtigkeit mehr. Eine bescheidene Arbeit ist das, was ich brauche, weit weg von Ramose und seinen Plänen mit mir, weit weg von Nacht und seiner Zurückweisung. Jetzt mache ich mir nicht länger etwas vor. Nachdem ich zwölf Jahre einem kühnen und hochmütigen Trugbild nachgelaufen bin, das jeder Grundlage entbehrte, bin ich aufgewacht. Das Gesicht des Bauern wird wieder in den Staub gedrückt. Meine Antwort an Methen ist meine Ankunft vor seiner Tür.
Huy nahm seine Sachen und eilte ins Badehaus. Unterwegs beauftragte er einen Diener, bei Ramose anzufragen, ob der ihn noch an diesem Morgen empfangen könne. Gewaschen, eingeölt und angezogen kehrte er in seine Kammer zurück, nahm Methens Brief und wartete. Als die Erlaubnis, um die er ersucht hatte, kam, zog Huy ruhig seine Sandalen an und machte sich auf den langen Weg zu den Priesterquartieren im Tempelbereich. Ramoses Doppeltür stand offen und Huy konnte die Stimme des Oberpriesters hören, als er näher kam und den Diener anwies, ihn anzukündigen. Die Stimme verstummte, ein Schreiber drückte sich an Huy vorbei, und Huy folgte dem Diener in Ramoses Gemächer.
Zu seiner Bestürzung erhob sich nicht nur Ramose, um ihn zu begrüßen, sondern auch eine vertraute Gestalt, die ihm mit klackenden Porzellanschnecken und einem Stab in der Hand entgegenkam. Sie trug ein weites Gewand in Grün – eine Farbe, die sie bisher in seiner Gegenwart nie getragen hatte –, das um den Hals und am Saum schwarz abgesetzt war: eine Farbe, die jedem Zauberer starken Schutz bot. Die Rechet blieb stehen, ehe sie Huy erreichte, und musterte ihn eindringlich. Sie lächelte nicht. Ramose umarmte ihn, und dabei fiel Huy auf, dass der Oberpriester ihn ziemlich oft berührte, als wollte er damit etwas aufsaugen, das er brauchte oder wünschte. Der Gedanke empörte Huy, und er machte sich ungestüm los, milderte das aber mit einem Lächeln ab.
»Junger Mann, ich habe dich nicht so schnell in meinen Räumen erwartet«, sagte Ramose. »Hast du deine Kiste bereits gepackt? Lass mich dir deine neue Kammer zeigen.«
Huy sah Henenu an. Ihre von Falten umgebenen Augen hatten sich verengt, und sie bewegte sich nicht. Sie weiß es, dachte Huy und Angst befiel ihn. Warum trägt sie heute Grün? Ich habe vergessen, wofür es steht. Sein Blick auf ihr Kleid musste ihn
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