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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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heran, legte ihren Stab auf den Boden und nahm seinen Kopf in ihre warmen, trockenen Hände. »Schreib uns. Bete für uns, wie wir für dich beten werden. Eines Tages werden deine Gebete wie Donnerhall in Atums Ohren sein und das Blöken von uns niedrigem Volk übertönen.« Sie küsste ihn auf die Stirn und ließ ihn los. »Oder aber«, fügte sie hinzu, »wir werden gar nicht mehr zu Atum beten, sondern zu dir.« Sie hob ihren Stab auf und schüttelte sich dabei – eine merkwürdig ungelenke Bewegung, als würde sie eine Spinne aus den Falten ihres Kleides befördern.
    Ramose sah ihn unfreundlich an. »Ich bin entsetzt über deine Undankbarkeit, Huy«, blaffte er. »Aber Henenu denkt ja, dass du gehen musst, und ich respektiere ihren Heka. Bei deiner Reise bin ich dir nicht behilflich. Vielleicht treibt dich die Erfahrung wahrer Härte zurück nach Iunu. Die Flut hat die halbe Höhe erreicht, und die Strömung wird immer stärker. Du musst entweder nach Norden laufen oder einen Schiffer finden, der es wagt, sich dem auszusetzen.«
    Huy verbeugte sich vor ihm. »Ich habe dir immer Ehrerbietung entgegengebracht, Größter der Seher.« Er benutzte den offiziellen Titel aus einem plötzlichen Gefühl von Respekt, ja fast Liebe für diesen Mann, der sein Leben so lange bestimmt hatte. »Ich bitte dich um nichts weiter, als mir zu verzeihen und mich zu segnen. Wenn sich mir je das Geheimnis des Buches Thot erschließt, lasse ich es dich zuallererst wissen.« Er kniete nieder. Jetzt, da das schwierige Gespräch fast vorbei war, konnte er großmütig sein. »Bitte gib mir deinen Segen, Oberpriester.«
    Ramose seufzte. Die Hände, die er jetzt auf Huys Kopf legte, fühlten sich leicht an und nicht so, als wollten sie etwas aufsaugen. »Möge das allwissende Auge Res deine Reise beschützen«, sagte er barsch, »und mögen die Sohlen deiner Füße immer fest sein.« Er zog die Hände weg. »Geh jetzt, Huy. Du kannst deine Lederbeutel mit Proviant aus der Tempelküche füllen. Sonst nimm nichts mit.«
    Huy verschluckte eine scharfe Antwort auf die dahinterstehende Kritik. Ramose würde noch lange Zeit verärgert sein. Er erhob sich und zögerte. Sicherlich gab es noch mehr zu sagen und zu erklären. Konnte das Band, das in den zwölf Jahren zwischen dem heranwachsenden Kind und diesem kultivierten Priester entstanden war, in so wenigen Augenblicken zerreißen? Henenu und Ramose sahen ihn schweigend an. Huy verbeugte sich erneut und ging.
    In einer Mischung aus Jubel und Ungläubigkeit packte er rasch seine Sachen. In den größeren der beiden abgewetzten Lederbeutel stopfte er seine Kleider und den sorgfältig eingewickelten Chenti-Cheti. Gern hätte er sein Bettzeug mitgenommen, denn er hatte sich daran gewöhnt, in diesem feinen, weichen Leinen zu schlafen, und bezweifelte, dass Methen solche Laken hätte. Doch er zog das Bett ab und hinterließ die Laken in einem Haufen auf der Matratze für die Diener. Mit dem kleineren Beutel ging er in die Küche und füllte ihn mit gekochtem Rindfleisch, einer ganzen gebratenen Gans, zwei Brotlaiben, einer Hand voll Zwiebeln, Selleriestangen, einigen klebrigen Datteln, frischen Feigen und ein paar kleinen braunen Pflaumen. Außerdem warf er noch getrocknete Kichererbsen und eine Knoblauchzwiebel hinein. Begeistert entdeckte er ein Kistchen mit Bak-Schoten, von denen er aber nur vier nahm, die er unterwegs kauen wollte. Ischat hatte ihren scharfen, einem Tränen in die Augen treibenden Geschmack auch gemocht. Ich werde sie bald wiedersehen, dachte er, während er nach Salz und Korianderblättern suchte. Sie und ihre Mutter und meine Familie. Meine Familie … meinen Vater. Ich wünschte, ich könnte mich auf ein fröhliches Wiedersehen mit ihnen allen freuen, mir vorstellen, wie sie mir entgegenrennen, wenn ich mich, bereit, sie zu umarmen, dem Haus nähere. Doch Vater wird mich nur aus Pflichtgefühl an die Brust ziehen, und ich muss mich bemühen, der Berührung nicht auszuweichen.
    Er ging zu einem der Köche. »Ich begebe mich auf eine Reise. Der Oberpriester hat mir erlaubt, etwas zu essen mitzunehmen, aber ich habe weder einen Kochtopf noch ein Messer oder einen Löffel. Gibt es beim Abfall hinter der Mauer vielleicht ausgemusterte Töpfe?«
    »Woher soll ich das wissen?«, erwiderte der Mann. »Geh und schau selber nach. Nimm, was du findest.«
    Also ging Huy mit seinem prallen Beutel durch die Pforte hinter den Tempelbezirk, wo haufenweise Abfälle und kaputte Gegenstände

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