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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Huy träumte davon, seine spärlichen Habseligkeiten in seine beiden Beutel zu packen und sich mit Ischat in einer mondlosen Nacht davonzustehlen. Er begann, Atum zu bitten, ihn freizugeben.
    Die gesegnete Jahreszeit Peret mit ihren vier Monaten voller kühler Winde, frischem Grün und praller Fruchtbarkeit begann. Huy musste sich jetzt weniger mit Fällen von Fieber und unsichtbaren Krankheiten beschäftigen. Stattdessen nahmen die Unfälle zu, weil die Bauern mit ihren Werkzeugen auf den Feldern arbeiteten. Doch ein aufgerissenes Bein oder einen gebrochenen Arm konnte jeder Arzt behandeln. Kinder hatten schon immer an den Kanälen, die die Stadt durchzogen, und in den Bewässerungsgräben zwischen den Feldern gespielt. Peret brachte so auch ertrunkene Kinder und Wurmbefall mit sich. Huy wurde zu vielen Kindern geholt. Manche waren schon tot, und die untröstlichen Eltern erwarteten, dass Huy ein Wunder bewirkte und das Leben in die kalten, grauen Glieder zurückbrachte. Wenn er dann erklärte, dass so etwas weit jenseits seiner Macht lag, sah er den unausgesprochenen Vorwurf in den verquollenen Augen der Hinterbliebenen: »Du bist von den Toten zurückgekehrt. Du bist der Wiedergeborene. Du bist vertraut mit den Göttern. Dir haben sie eine zweite Chance gegeben und mächtige Gaben verliehen. Sie müssen dich lieben und werden dir jede Gunst erweisen, um die du bittest. Warum bittest du nicht für mein Kind?«
    Wenn er diese ertrunkenen Kinder mit ihren glasigen Augen und dem Tang in den Haaren sah, kam in Huy die alte, vertraute Panik seiner Kindheit hoch und oft musste er all seine Willenskraft aufbringen, um nicht aus den dunklen Totenzimmern mit ihrem Geruch nach gärendem Wasser zu fliehen, dorthin zu rennen, wo es hell und warm war, wo normale Menschen zufrieden und laut ihren Alltagsgeschäften nachgingen. Er begann, an den länger werdenden Abenden Wein zu trinken, suchte ein Vergessen, das ihm, wie er wusste, nicht beschieden war, hoffte aber nichtsdestotrotz, dass er das Mitleid der Götter erregen könnte.
    Pachons verging, Payni begann, und am achten Tag dieses Monats änderte sich Huys Geschick mit einer Geschwindigkeit, die ihm und Ischat den Atem raubte. Bei Tagesanbruch aßen sie Haferbrei mit Honig. Ischat hatte die Haustür geöffnet, um die morgendliche Kühle hereinzulassen, aber die Brise belebte keinen von beiden. Sie waren mutlos und müde und beendeten ihr Mahl schweigend. Ischat war aufgestanden, um die leeren Schüsseln wegzuräumen, als ein Schatten in den Durchgang fiel und jemand an die Außenmauer hämmerte. »Sie können nicht einmal warten, bis du in den Tempel kommst«, fauchte sie. »Huy, das muss aufhören!« Sie drehte sich zur Tür um und erstarrte. Huy stand auf, um zu sehen, was passiert war. Eine wunderbar vertraute Gestalt kam herein.
    »Es hat lange gedauert, bis ich dich gefunden habe«, sagte Thutmosis. »Götter, ich habe vergessen, was für ein hässliches Loch Hut-Herib ist! Bin ich in dieser Straße sicher, Huy? Ich habe eine Wache draußen stehen.«
    Eine ganze Weile starrte Huy den Freund an. Dann begriff er und rannte los. »Thutmosis! Wie herrlich! Mit dir habe ich an einem Tag wie diesem am allerwenigsten gerechnet!« Er schlang die Arme um den vertrauten Körper. »Was machst du hier? Triffst du dich mit dem Gaufürsten?« Sie ließen sich los und sahen sich lachend an. Huy merkte, wie sein Herz leichter wurde und alle Spannung von ihm abfiel.
    »Nicht ganz.« Thutmosis betrachtete Huy kritisch von oben bis unten. »Was hast du mit dir gemacht? Würde ich dich nicht kennen, würde ich meinen, du wärst zum Säufer geworden.«
    »Er arbeitet so viel, edler Herr«, schaltete sich Ischat ein. Sie verbeugte sich, als sich Thutmosis zu ihr umdrehte. »Wahrscheinlich erinnerst du dich nicht an mich«, fuhr sie fort. »Meine Mutter und ich waren Dienerinnen in Huys Elternhaus. Ich bin jetzt Huys Dienerin. Ich erinnere mich sehr gut an dich. Sind deine schönen Schwestern auch hier, Meister? Soll ich auf den Markt gehen und etwas Besonderes zubereiten?« In ihrer Stimme lag eine leichte Schärfe. Huy seufzte innerlich.
    »Ich erinnere mich an dich«, sagte Thutmosis langsam. »Aber als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du ein schlaksiges kleines Mädchen. Ischat. Das ist dein Name, nicht wahr? Du bist höchst erfreulich erwachsen geworden, Ischat.«
    Sie verbeugte sich erneut. »Danke. Deine Familie …«
    »Ist zu Hause in Iunu.« Er wandte sich an Huy.

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