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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Monat Thot, als der Sirius oder Hundsstern wieder am Nachthimmel erschien und das Einsetzen der Nilschwemme ankündigte. Jetzt dünnte sich die Menschenmenge etwas aus. Thot leitete das neue Jahr ein, und man feierte den Gott, der ihm den Namen verliehen hatte, den Aufgang des Sirius und den ersten leichten Anstieg des Flusses die gesamten dreißig Tage lang. Huy und Ischat blieben in ihrem Haus, schliefen, aßen, unterhielten sich – Dinge, die vorher kaum möglich gewesen waren. Huy beantwortete auch die Briefe aus Iunu, die sich gestapelt hatten. Beide besuchten ihre Familien. Allmählich schöpften sie wieder Kraft.
    »Wir können nicht weiterhin jeden Tag Dutzende von Bittstellern versorgen«, sagte Ischat an einem heißen Abend, als sie auf Hockern vor ihrer Tür saßen und die Leute beobachteten, die zum Fluss strömten, um Blumen auf das Wasser zu werfen. »Außerdem haben sich die Gläubigen beim Oberpriester beklagt, dass sie wegen der Menge um dich herum kaum noch zum Tempel gelangen. Es wird Zeit, einen anderen Ort zu suchen, Huy. Ein Haus am Rand der Stadt. Und wir brauchen einen Türsteher, der den Strom der Bittsteller lenkt, sie je nach Schwere des Falles einlässt. Wie soll ich kochen und putzen, wenn ich gleichzeitig Listen schreiben und dich davor bewahren muss, von den Leuten erdrückt zu werden?«
    Huy richtete sich mit einem Seufzer auf. »Du hast recht. Aber um Land zu bekommen, muss ich selber zum Bittsteller werden, an der Tür des Gaufürsten. Und ich glaube nicht, dass das Gold von dem stellvertretenden Fürsten ausreicht, um das Grundstück zu bezahlen. Außerdem müsste ein Haus gebaut werden. Woher sollen das zusätzliche Brot und die Zwiebeln für die Arbeiter kommen? Und ein Türsteher? Sei vernünftig, Ischat.«
    »Ist dies vernünftig?« Sie breitete die braunen Arme aus. »Wir verbrauchen unseren Ach schneller, als ihn die Götter nachfüllen können! Wie lange geht das noch, ehe wir zusammenbrechen?« Sie senkte die Stimme. »Ich fange an, sie alle zu hassen. Ihre angstvollen Augen und ihre fordernden Stimmen, als würdest du ihnen etwas schulden und ihnen nicht große Wohltaten erweisen.«
    Huy empfand ähnlich, aber er wollte es nicht zugeben. Mehr und mehr bekamen die Menschen, die ihn bedrängten, ein einziges Gesicht, wurden ihre Stimmen zu einem einzigen Winseln. Er wusste, dass die Ordnung der Maat Respekt gegenüber allen Ägyptern verlangte, wobei die größte Verehrung und Hochachtung dem Einen zustand, der auf dem Horus-Thron saß. Aber er wusste auch, dass sein Bild von seinen Mitmenschen verzerrt war. Ich sehe nur noch die Kranken und Leidenden, dachte er. Ich lache mit niemandem mehr. Ich habe keine Zeit für den Bogen und die Pfeile, die ich bekommen habe, oder um mit Ischat hinauszurudern und zu fischen oder im Bierhaus zu sitzen und dem Geplauder der gesunden Gäste zu lauschen. Aber darf ich es wagen, den Zorn Atums auf mich zu ziehen, indem ich jemanden wegschicke? Muss ich meinen Ach und meinen Körper im Dienste des Gottes wirklich so sehr erschöpfen, dass ich selbst krank werde?
    »Mittlerweile liegen schon dreihundert Ziegel für uns bereit. Der Ziegelmacher hat letzte Woche seinen Sohn geschickt, um mir das zu sagen. Bald sind es genug für ein neues Haus.« Sie klopfte auf sein Knie. »Geh und sprich mit unserem Gaufürsten. Sicher hat er bereits von deinem Ruhm als Heiler gehört. Er sollte es als Ehre betrachten, einen solchen Diener der Götter in seiner Stadt zu beherbergen. Er sollte dir Land geben.«
    Huy antwortete nicht. Der Stachel von Nachts Ablehnung saß noch zu tief. Er wollte sich keiner weiteren Zurückweisung aussetzen.
    Also unternahm er nichts. Der Fluss schwoll an und trat über die Ufer. Huys achtzehnter Geburtstag am neunten Paophi verging ohne große Feier. Ischat schenkte ihm eine rote Schleife, die er in seinen Zopf flechten konnte. Von Methen bekam er ein Bündel Papyrus und ein Töpfchen Tuschepulver. Seine Eltern luden zu einem Festessen ein, und Heby hatte zu Ehren seines Bruders auf Hapus Außenwand ein düsteres Bild gemalt, das Huy zeigte, wie er vor Atum kniete. Briefe mit Glückwünschen kamen von Thutmosis, Nascha, Ramose und der Rechet. Ansonsten verlief Huys und Ischats Leben wieder so hektisch wie zuvor.
    Jeder Monat hatte seine Feste. Es gab immer fünf oder mehr Tage, wo zu Ehren eines Gottes gefeiert wurde und die Arbeit ruhte. Das waren die Zeiten, in denen sich Huy und Ischat etwas Ruhe und Erholung verschafften.

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