Der Seher des Pharao
Thutmosis’ Lächeln verschwand langsam und machte einem forschenden Ausdruck Platz. Ischats Finger spielten ziellos in den Haaren über ihrer Stirn, dann verschränkten sie sich. Sie wandte Huy erst den Körper zu, ehe ihr Gesicht folgte.
»Huy, mit diesem Schurz kannst du nicht vor den König treten«, sagte sie. »Ich lege dir den einen goldgesäumten Schurz heraus, den du noch hast, und suche deine Schminke und deinen Schmuck.« Sie stieß gegen den Tisch, als sie in Huys Schlafzimmer floh.
»Ich glaube es nicht!«, lachte Huy. »Deine Neuigkeiten haben sie völlig durcheinandergebracht. Ich hätte nie gedacht, dass ich Ischat einmal fassungslos sehen würde!« Er sah den Freund an, aber dessen Augen waren Ischat gefolgt. Er runzelte die Stirn.
Es schien Huy, dass seine Finger immer ungeschickter wurden, je mehr er sich beeilen wollte. Er stand in seinem Schlafzimmer, während sich Ischat und Thutmosis nebenan unterhielten, und kämpfte mit seinem Schurz, der sich verknotete, als er ihn binden wollte. Zweimal ließ er den türkisbesetzten Gürtel fallen. Aus seinem Zopf löste sich eine Strähne und verfing sich mit der Kette seines Sa-Amuletts, als er sich vorbeugte, um seine Sandalen zu schnüren, sodass er den Zopf noch einmal lösen und neu flechten musste. Als Ohrring konnte er nur das kleine goldene Anch-Zeichen anlegen. Armreifen besaß er nicht.
Schließlich setzte er sich auf sein Bett, schloss die Augen und entspannte bewusst einen Muskel nach dem anderen in seinem verkrampften Körper, denn er wusste, dass ihn seine Gabe im Stich lassen würde, wenn er derart aufgeregt vor dem König erschien. Ich habe mir heute Morgen nicht einmal die Mühe gemacht, meine Lider mit Kajal zu bemalen, dachte er verzweifelt. Ich sehe aus wie ein Bauer, der die besseren Stande nachäfft, mit meinem geschrubbten Gesicht und dem schlichten Ohrring, kostbaren Amuletten an den Fingern und um den Hals, aber Ledersandalen, die so alt und rissig sind, dass sie nicht mehr richtig passen. Er hörte, wie Ischat laut über etwas lachte, das Thutmosis gesagt hatte. Sie sind ganz zwanglos miteinander, dachte er verwundert. »Soll ich meine Palette mitnehmen?«, fragte er Thutmosis.
»Nein, nicht nötig. Wir müssen los. Der König dürfte bald gewaschen und angezogen worden sein, und er ist kein geduldiger Mensch.«
Huy sah Ischat an. »Geh zum Tempel und sag den Wartenden, dass ich heute keine Bitten entgegennehme. Dann frag in der Küche, was zum Abendessen vorgesehen ist. Du isst doch später mit uns, Thutmosis?«
»Nein. Ihr beide esst mit mir auf dem Schiff.« Thutmosis winkte Huy Richtung Tür. »Jetzt komm endlich, Huy! Wo ist der selbstbewusste junge Mann geblieben, der die Feste meines Vaters mit seiner Gegenwart schmückte?« Mit Anuket und den Träumen von einer rosigen Zukunft verschwunden, dachte Huy und folgte dem Freund.
Vor der Tür stand eine Sänfte, umgeben von neugierigen Nachbarn. Die Träger sprangen auf, als Thutmosis erschien, und die beiden Wachen traten vor, die Speere auf die Gaffer gerichtet, die daraufhin still wurden und sich zurückzogen. Thutmosis hob den Vorhang der Sänfte, ließ Huy einsteigen, setzte sich in die Kissen neben ihm und ließ den Vorhang wieder fallen. Huy spürte, wie die Träger die Sänfte aufnahmen. Es war ein vertrautes Gefühl, und trotz seiner Beklemmungen lächelte er. »Ich habe nicht mehr in einer Sänfte gesessen, seit ich Iunu verlassen habe«, erklärte er. »Ich bin einfach davon ausgegangen, dass wir zu Fuß gehen.«
Thutmosis schüttelte sich. »Um dich dann vor dem Einen verschwitzt und staubig erscheinen zu lassen? Keine gute Idee.« Einen Moment schwiegen sie, dann sagte Thutmosis: »Ischat ist sehr schön geworden, nicht wahr? Sie hat überhaupt nichts Derbes an sich, keine Anzeichen ihrer niederen Herkunft. Sie sieht aus wie die Tochter eines Landadeligen.«
»Ja, das tut sie«, stimmte Huy nachdenklich zu. »Ich weiß noch, wie verblüfft ich war, als ich sie nach meiner Rückkehr zum ersten Mal sah. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich sie erkannte.«
Wieder herrschte einen Augenblick Schweigen, bis Thutmosis es brach: »Sie hat sicher den einen oder anderen Verehrer. Ungeduldige Bauern-oder Fischersöhne wahrscheinlich.«
»Nicht dass ich wüsste. Warum fragst du?« Huy wollte dem Freund ins Gesicht sehen, doch der betrachtete die Vorhangfalten. Huy lachte. »Sie gefällt dir. Meine scharfzüngige kleine Hexe.« Er hätte beinahe ›meine
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