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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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deine Tante auch.« Huy rannte den Steg hinauf, Ker nahm die Beutel und gab dem Steuermann ein Zeichen.
    »Ich bin immer noch nicht groß genug, um über die Reling schauen zu können«, sagte Huy, als der Steg eingeholt wurde und die Ruderer ihre Plätze an den Riemen einnahmen. »Heb mich hoch, Onkel, ich will sehen, wie der Tempel hinter uns verschwindet.« Ker setzte ihn auf die Reling und hielt ihn gut fest, während die Barke Richtung Kanal und Fluss Fahrt aufnahm. »Der Pylon ist wirklich gewaltig«, erklärte Huy fröhlich. »Und ich habe keine Angst mehr davor.«
    »Warum auch«, murmelte Ker trocken, »wenn man bedenkt, dass du nicht nur den Pylon, sondern auch den See, den äußeren Hof und noch viel mehr kennst. Du warst nicht gerade ein Musterschüler, oder? Der Vorsteher hat mir von deinen Eskapaden und den Peitschenhieben erzählt, aber er sagte nichts davon, dass man deine Jugendlocke abrasiert hat. Dein Haar ist genauso lang wie damals, als ich dich hergebracht habe. Warum wurde sie abgeschnitten? Doch wohl nicht bloß wegen ein paar Ausflügen in die Küchen und Ställe?«
    Sie hatten den Fluss fast erreicht. Die Ruderer holten die Riemen vorübergehend ein, damit der Steuermann die Trift aufspüren konnte, die das Schiff in die Strömung Richtung Norden treiben würde. Sie haben es ihm also nicht erzählt, dachte Huy. Warum nicht? Hat der Oberpriester dem Vorsteher und den Lehrern befohlen, Stillschweigen über mein schreckliches Vergehen zu wahren? Vielleicht sollen Leute, die nichts von dem Baum wissen, auch nichts von ihm erfahren, solange das nicht zufällig wie bei mir geschieht oder sie im Tempel arbeiten. Er straffte sich.
    »Ich habe etwas getan, das diese Strafe verdient hat, Onkel«, begann er vorsichtig, »aber es geschah aus Unwissenheit. Wenn der Vorsteher dir nicht gesagt hat, was es war, möchte ich das auch nicht tun. Doch das soll keine Beleidigung sein.« Der Griff seines Onkels blieb unverändert. Während sie den Kanal hinter sich ließen und durch das Gewirr auf dem Fluss vor der Stadt fuhren, wartete Huy beklommen auf strenge Worte und war verblüfft, als er Ker glucksen hörte.
    »Ist das der eigensinnige, rücksichtslose Junge, der seinen Gott mit einer minderwertigen Gabe abgespeist und geschmollt hat, wenn man ihm auch nur die kleinste Kleinigkeit versagte? Ich bin erstaunt, wie sehr du dich verändert hast, Huy. Du hast gerade deine Schuld ehrlich eingestanden, dich geweigert, über die Angelegenheit zu reden, weil du das für nicht richtig hältst, und dich bei mir entschuldigt, falls ich mich dadurch beleidigt fühlen könnte. Wahrlich, die Schule ist über jeden Vorwurf erhaben!«
    So hatte Huy seine kleine Rede nicht betrachtet. Unversehens war er sehr zufrieden mit sich. Hinter ihnen gab der Steuermann ein Kommando, Füße rannten über das Deck, und Huy hörte, wie sich das Lateinsegel plötzlich im Wind blähte. Die Riemen wurden eingezogen, und das Schiff beschleunigte. Huy war begeistert. Er hatte es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Er hoffte, dass sie wieder am Ufer festmachen und im Schein des Lagerfeuers essen würden, aber er war zu höflich, um darum zu bitten.
    Tatsächlich verbrachten sie die Nacht ziemlich genau gegenüber der Stelle, wo die Barke so viele Monate zuvor geankert hatte. Der Fisch schmeckte so köstlich wie damals, die Sterne waren ebenso schön, und diesmal durfte Huy in eine Decke gerollt am Ufer schlafen. Ker selbst ging lieber in die Kabine. »Ich werde langsam zu alt für den harten Boden«, scherzte er, »und ich befürchte nicht, dass du wegläufst. Der Matrose dort ist zu deinem Schutz da.«
    Huy klatschte in die Hände. Er hatte noch nie eine Nacht im Freien verbracht. »Danke, Onkel! Hattest du wirklich Angst, dass ich weglaufen könnte?«
    »Ich an deiner Stelle hätte nach Möglichkeiten gesucht, diesem Schicksal zu entkommen.« Er lächelte. »Auch dein Vater hatte ein wachsames Auge auf dich, falls du versuchen würdest, Ischat für irgendeinen verrückten Fluchtplan einzuspannen.«
    Huy war verblüfft und ziemlich verärgert. Erwachsene waren doch nicht so dumm, wie er angenommen hatte. »Ich habe überlegt, was ich tun könnte«, gab er zu, »aber ich wusste nicht, wohin ich hätte gehen sollen.« Er sah ins Feuer, das mittlerweile bis auf die Glut heruntergebrannt war. »Onkel Ker, ich habe dich beinahe gehasst, weil du mich in die Schule geschickt hast. Aber es war eine weise und großzügige Tat.« Beschämt bohrte er

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