Der Seher des Pharao
einen Zeh in die warme Erde. »Ich habe viel gelernt und bin dir dankbar.«
»Deine Reise hat gerade erst begonnen«, erwiderte Ker, »und doch werde ich schon reichlich belohnt, lass dir das gesagt sein, mein tapferer kleiner Missetäter.« Er hielt Huy eine Decke hin. »Such dir eine Kuhle, und wenn dich irgendetwas stört, komm zurück an Bord. Und schlaf gut.«
Huy wählte eine Stelle in der Nähe des Feuers und in Rufweite zu dem Matrosen, der sich schon ausgestreckt hatte und tief atmete. Er hatte eher Angst vor Schlangen und Spinnen als vor menschlicher Gefahr. Es war nicht völlig dunkel, denn der Mond war nahezu voll. Sein kaltes Licht ließ verschwommene Schatten der Bäume auf den Boden fallen und überstrahlte die Sterne in seiner Nähe. Das Wasser schwappte träge gegen den Schiffsrumpf. Irgendein kleines Tier schlüpfte durch die Schilfbüschel.
Huy lag lange Zeit auf dem Rücken, die Hände unter seinem Kopf gefaltet. Er war absolut zufrieden. Die Nachtluft roch nach Schlamm, nassen Blättern und verglimmender Asche. Er dachte an Thutmosis und überlegte, wie es ihm am ersten Abend inmitten seiner liebevollen Familie erging. Dann dachte er an seine leere Kammer und die zusammengerollte Matratze auf seinem Bett, die auf seine Rückkehr wartete. Und zuletzt wanderten seine Gedanken wie immer zu dem heiligen Isched-Baum: Das Raunen seiner Blätter klang in seinen Ohren, während er einschlief.
Sie erreichen Hut-Herib am späteren Vormittag. Dank der günstigen Strömung hatte die Reise trotz des niedrigen Wasserstands weniger Zeit als erwartet in Anspruch genommen. Kers Sänftenträger warteten schon. Ker erteilte dem Steuermann noch einige Befehle, während Huy sich von den Matrosen verabschiedete, seine Beutel nahm, das Schiff verließ und die Sänfte mit einem Seufzer bestieg, der Bedauern und Vorfreude zugleich ausdrückte. Zu dieser Jahreszeit war es auf dem Kai ruhig. Der Fluss hatte den niedrigsten Pegelstand, daher kamen nur wenige Schiffe vom Großen Grün im Norden, und die Stadt wirkte müde, geradezu schäbig. Die Hügel, auf denen Hut-Herib erbaut war, bildeten jetzt keine Inseln. Nur einige der tieferen Gräben waren noch feucht. In ihnen wucherten Sumpfpflanzen. Die meisten Gräben waren grau und rissig von der Trockenheit und bereit für das Wasser, das sie bald wieder füllen sollte. Huy rümpfte die Nase: Sie stanken. Die Felder im Osten waren abgeerntet, die schwarze Erde buk in der Sonne, und die Palmen an den Rändern waren staubig und schlaff. Endlich tauchten der Obstgarten seines Onkels und die Sykomoren vor Huys Elternhaus auf.
Die Träger setzten die Sänfte vor dem Haus ab, und sofort brach drinnen ein Sturm los. Huy blieb kaum Zeit, von den Polstern zu krabbeln, ehe seine Mutter angerannt kam, ihn hochhob und an ihre Brust presste. Der süße Duft von Lilien umfing ihn. »Liebling, Liebling Huy! Wie dünn du bist! Bist du gewachsen? Oh ja! Hapsefa hat dein Leibgericht gekocht, und dein Zimmer wartet auf dich. War dieses Jahr sehr schrecklich für dich? Willkommen daheim!«
Huy musste noch lautstarke Küsse über sich ergehen lassen, dann kämpfte er sich frei. »Lass mich runter, Mutter! Mir geht es gut! Ich liebe dich, und ich freue mich so, dich zu sehen.« Er sah die braunen Augen, die ihn glücklich musterten, und die vertraute Linie ihres lachenden Mundes, und plötzlich meinte er, was er gesagt hatte. Er griff nach ihrer Hand. »Zu Hause zu sein, ist wunderschön!«, schrie er fast.
Sein Vater war dazugekommen. Huy warf sich an die breite Brust, und Hapu legte die Arme um ihn. »Ich war nicht immer brav, aber ich habe fleißig gelernt«, sagte er und vergrub sein Gesicht am Hals des Vaters. »Ich glaube, du kannst stolz auf mich sein.«
Hapu setzte ihn ab. »Ich wäre gern mit Ker in deine Schule gekommen«, sagte er bedächtig, »aber es war zu viel zu tun. Vielleicht komme ich mit, wenn du wieder hinfährst. Willkommen, mein Sohn. Gleich kommt deine Tante, und dann feiern wir. Pack derweil deine Sachen aus.«
Huys Zimmer war unverändert. Er stand in der Tür, und seine Blicke folgten den vertrauten Rissen in der Decke, fielen auf die Lampe neben dem Bett. Er holte tief Luft und sog den Duft des frischgewaschenen Leinens, von Hapsefas Schweiß und einen Hauch vom Geruch seines eigenen Körpers ein. Von dem Affen war nichts zu sehen. Huy atmete erleichtert aus, überlegte, wo seine Mutter ihn versteckt haben könnte, und hoffte, dass seine Tante Heruben nicht
Weitere Kostenlose Bücher