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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Kammer wurde es still, nur die Lampe flackerte. Der nächste Feiertag ist die Öffnung des Osiris-Grabes, direkt danach kommen das Fest des Erdhackens und das der Vorbereitung des Opferaltars im Grab des Osiris, dachte Huy, als er seinen Schurz auszog und zwischen die Laken kroch. Drei Tage hintereinander, die ich bei Thutmosis’ Familie verbringen kann. Ob Anuket sich auch so auf das Wiedersehen freut wie ich? Ich hoffe es so sehr, ihr Götter! Als er die Lampe ausblies, hörte er Ischats Stimme: »Du könntest mich heiraten … Du würdest nicht verlangen, dass ich koche und Babys bekomme, nicht wahr?« Er wischte ihr Gesicht beiseite, als er sich im Dunkeln hinlegte und die Augen schloss. Das gelang nicht ohne ein gewisses Schuldgefühl, dem aber sofort eine Welle von Ärger folgte. So sehr er sie mochte, sie hätte ihre enge Freundschaft nicht ausnutzen dürfen. Als er einschlief, war ihm nicht klar, dass sein Zorn sich gegen die Tatsache richtete, dass sie plötzlich zur Frau reifte.
    Huys Schutzbefohlener erwies sich als ein stämmiger Junge namens Samentuser, dessen Ängste sich in Wutausbrüchen Luft machten. Er weigerte sich, sich außerhalb des Unterrichts an irgendetwas zu beteiligen. Als Pabast kam, um seinen ungebändigten Haarschopf zu scheren, warf er den Kopf herum, klammerte sich an den Hocker und reckte das Kinn trotzig vor. Nach mehren Versuchen, das Rasiermesser anzusetzen, sah der Diener Huy flehend an, der die Szene mit Vergnügen und einer gewissen Sympathie beobachtete. Was, keine versteckten Beleidigungen, Pabast?, hatte Huy gedacht. Keine mürrischen Anspielungen auf einen bäuerlichen Stoppelkopf? Der Vorsteher hatte Huy nichts über das Elternhaus des Kindes gesagt, sondern es ihm nur mit einem, wie er später erkannte, listigen Lächeln übergeben. Samentuser selbst hatte wiederum am ersten Abend überhaupt nichts gesagt. Er hatte gegessen, sich gewaschen und war ins Bett gegangen, ohne auf eine der Fragen zu antworten, mit denen Huy ihn aus der Reserve locken wollte. Am Morgen war er aufgestanden, hatte sein Frühstück ins Gras geworfen und sich, mit dem Gesicht zur Wand, wieder hingelegt. Im Badehaus hatte er zumindest versucht, sich selbst zu schrubben, aber nun hatte er Pabast in die Enge getrieben. Huy genoss die Situation, ehe er sich vor das aufsässige kleine Gesicht hockte.
    »Wenn du nicht zulässt, dass Pabast dich rasiert, werden die anderen Jungen dich als Bauern bezeichnen und deinen Vater als Sumpfbewohner«, sagte er scharf. »Willst du das, Samentuser? Vielleicht bist du ja wirklich ein Bauer. So wie ich. Aber hier kannst du lernen, etwas Besseres zu werden, wenn du dich anständig benimmst.« Er stand auf. »Andernfalls halte ich dich fest, damit Pabast seine Pflicht tun kann.«
    Samentuser wurde erst weiß, dann schoss die Farbe zurück in sein Gesicht – die Haut, die eigentlich zu blass für einen kleinen Jungen war, wurde dunkelrot. »Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden!«, kläffte er schrill. »Weißt du nicht, wer ich bin? Mein Vater ist ein Gesellschafter des Königs, und meine Mutter stammt von dem mächtigen Ahmose Pen-Nechbet ab! Ich mache, was ich will, und jetzt will ich, dass meine Haare dran bleiben!« Er sprang auf und ballte die Fäuste, eine kleine Kugel aus lodernder Wut. »Ich hasse es hier, und ich hasse dich, du Bauer! Wenn dieser Diener mich anrührt, lasse ich ihn auspeitschen!«
    »Ich glaube nicht, dass du ein Edelmann bist«, sagt Huy langsam. »Blaues Blut behandelt jene von niedrigerer Geburt freundlich. Ein wahrer Edelmann hat es nicht nötig, Untergebene zu schikanieren, wie du erfahren wirst, wenn du die Maximen des Ptahhotep lernst. Jetzt setz dich hin und benimm dich!«
    »Dies ist meine dritte Schule!«, schrie Samentuser. »Ich kenne die Maximen! Ich hasse die Maximen! Ich will heim nach Nefrusi!«
    Huy betrachtete ihn nachdenklich. Er wünschte, der Vorsteher hätte ihm etwas über den Stand des Kindes gesagt. Wenn Samentuser nicht log, war es gut möglich, dass die Hauslehrer aus schierem Ärger die verschiedenen Anwesen der Familie reihenweise verlassen hatten. Er erinnerte sich an das wissende Lächeln des Vorstehers und dachte an seine eigenen nicht so gewalttätigen, aber ebenso zornerfüllten Anfänge und kam zu dem Schluss, dass man ihm die Zähmung dieses seelenverwandten Kas mit voller Absicht übertragen hatte. Er packte Samentuser bei den Schultern, drückte ihn auf den Hocker und hielt ihn dort fest. »Liebst du

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