Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
Vom Netzwerk:
Decke. Seine Jugendlocke war verschwunden. Gegen seinen Hals schlug ein einzelner, schlichter runder Goldohrring, und am linken Handgelenk klimperten zwei Armreifen. Harnachts Augen waren mit Kajal umrandet und die Lippen mit Henna gefärbt.
    »Du siehst großartig aus, Harnacht«, sagte Huy neidisch. »Ich habe nicht gedacht, dass du dieses Jahr noch in der Schule wärst. Endlich hast du deinen Kopf ganz geschoren. Ich habe mich immer gewundert, warum du die Jugendlocke so lange behalten hast.« Er zuckte mit den Achseln. »Und meine Ferien waren eigentlich wie immer. Doch ich musste mich viel um meinen kleinen Bruder kümmern, deshalb hatte ich keine Zeit, mit Pfeil und Bogen zu üben.« In Wahrheit hatte er den Bogen und die Handvoll Pfeile, die er mit nach Hause genommen hatte, weggestellt und vergessen.
    Harnacht schnalzte missbilligend. »Weil du aus der Übung bist, wirst du nächste Woche wund sein und bestraft werden. Derselbe alte Huy: macht was er will und schert sich nicht um die Konsequenzen. Ich hänge noch einmal ein Schuljahr dran, um mich mit militärischer Taktik zu beschäftigen. Ich habe beschlossen, zur Armee zu gehen. Mein Vater ist glücklich darüber.« Er trat weiter in den Raum. »Aber ich bin nicht bloß gekommen, um mit dir zu plaudern, alter Schurke. Der Vorsteher hat mich geschickt. Du sollst den ersten Monat lang einen der Neulinge hüten. Er wird in Thutmosis’ Bett schlafen. Thutmosis hat auch einen Schutzbefohlenen.« Er lachte über Huys entsetztes Gesicht. »Jetzt weißt du, wie ich mich vor acht Jahren gefühlt habe, als man mir dich aufgehalst hat! Ich würde dir niemanden anvertrauen, den ich mag, aber der Vorsteher meint anscheinend, dass du an der Reihe bist.«
    Huy versuchte vergeblich, seine Enttäuschung niederzukämpfen. »Ich werde meine Pflicht tun«, entgegnete er steif. »Wo ist dieser unglückselige Junge, Harnacht?«
    »Er wird erst in zwei Tagen eintreffen. Er kommt aus Weset. Der Vorsteher lässt es dich wissen, wenn er da ist. He, Kopf hoch, Huy! Das ist doch nur für einen Monat, und wenn du Glück hast, schnieft und schnarcht er nicht so wie du. Übrigens wird der Oberpriester höchstpersönlich heute das Abendgebet in diesem Hof verrichten. Du solltest also vorzeigbar sein. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er sich an dich erinnert.« Er wurde leiser. »Im Ernst, Huy, du solltest stolz auf das sein, was du in den letzten acht Jahren hier erreicht hast. Es ist eine Ehre, für einen neuen Jungen verantwortlich zu sein.«
    Huy verzog das Gesicht, obwohl er sich insgeheim über das Kompliment freute. »Ich denke, ja. Danke, Harnacht. Ich kümmere mich jetzt mal um mein Bett.«
    »Indem du drin liegst!« Glucksend ging Harnacht davon, und Huy bückte sich, um die Laken aufzuheben. Es ist doch nur für einen Monat, dachte er, während er das Leinen ausschüttelte. Sei nicht so selbstsüchtig. Du bist zwölf Jahre alt und aus freien Stücken nicht mehr der verzogene Augapfel deiner Familie, weil du selbstständig sein willst. Irgendwo auf dem Fluss befindet sich ein verängstigtes kleines Kind, das dich braucht. Trotzdem stieg der altvertraute Unwille ob der Einmischung in seine Pläne auf und verspottete ihn mit seiner Hartnäckigkeit. Gedankenverloren richtete er sein Bett und öffnete seine Beutel.
    Als es Zeit zum Abendessen war, das wie immer draußen serviert wurde, hatte Huy seinen Gleichmut wiedergefunden. Es gab Zwiebelsuppe mit Knoblauch, Gurkensalat und gebratene Gazelle – ein seltener Leckerbissen. Huy aß zusammen mit einigen Jungen aus seiner Klasse, und man berichtete sich wechselseitig von seinen Ferien. Sie durften jetzt einen Becher Wein zum Essen trinken. Wie alles, was man den Schülern vorsetzte, war der Wein gut, trocken und von dunkler Farbe, und Huy schlürfte ihn anerkennend. Er blickte auf die lockeren Gruppen in weiße Schurze gekleideter Körper, die sich über den Rasen verteilt hatten, lauschte dem Gemurmel der Stimmen und dem gelegentlichen leisen Platschen, wenn ein Frosch von den Seerosen in den Teich hüpfte, spürte die letzte Wärme der untergehenden Sonne auf seinen nackten Schultern und merkte, dass ihn einmal mehr Zufriedenheit erfüllte. Er gehörte hierher. Heute Nacht würde erneut Chenti-Cheti mit dem Skarabäus zu Füßen bei seinem Bett stehen, neben seinen Sandalen lag die hochgeschätzte Palette für den kommenden Morgen bereit, und die ordentlich gefalteten Schurze füllten die Truhe. Er konnte es kaum abwarten

Weitere Kostenlose Bücher