Der Seher des Pharao
verändern. Ischat musste immer da sein, Ischat musste ihn auf ewig bedingungslos bewundern, egal, was aus ihm wurde oder wohin er ging.
Sie beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. »Du könntest mich heiraten, Huy«, murmelte sie. »Nicht sofort, denn dafür sind wir noch nicht alt genug. Aber wenn du deinem Vater sagst, dass du mich später heiraten willst, hört mein Vater auf, seine Netze nach den Söhnen seiner Freunde auszuwerfen. Du würdest nicht verlangen, dass ich koche und Babys bekomme, nicht wahr?«
Huy war bestürzt. Das Bild der sanften Anuket, den weißen Schoß voller Blumen, stieg in ihm auf. »Ischat, es dauert noch Jahre, bis ich mit der Schule fertig bin, und erst recht, bis ich daran denken kann, eine Frau zu ernähren!«, wehrte er ab. Es gelang ihm nicht, die Angst aus seiner Stimme herauszuhalten. Mit einem kalten Blick stand sie auf und ging davon.
»Ich habe gesagt, nicht gleich«, rief sie ihm über die Schulter nach. Sie verschwand in der Dämmerung, und Huy sah ihr mit einem Gefühl von Erleichterung nach, das fast, aber eben nicht ganz, den Schmerz über den Verlust ausglich.
Sein zwölfter Namensgebungstag wurde wie üblich mit einem Gang zum Chenti-Cheti-Tempel gefeiert, und diesmal brachte Huy dem Gott seine kostbaren Farben als Dankopfer dar. Dabei ging er nicht davon aus, dass sein Onkel sie ihm ersetzen würde, sondern dass er hoffentlich bald in der Lage wäre, sich selbst welche zu kaufen. Seit der Sache mit den Kegeln hatte er jedes Mal ein echtes Opfer ausgewählt, und er freute sich immer, den Priester wieder zu treffen, der ihn damals so klug beraten hatte. Mittlerweile schrieb er dem Mann einmal im Jahr und erhielt immer einen Brief voller Güte und Humor zurück. Es war eine merkwürdige Beziehung, aber Huy hatte sie schätzen gelernt.
Anschließend fand die übliche Feier im Garten statt. Die meiste Zeit rannte Huy hinter Heby her, der jetzt acht Monate alt war, krabbeln konnte und unbedingt den Verlockungen des Teiches nachkommen wollte. Die wütenden Blicke, die Ischat ihm zuwarf, wenn er das Baby hochhob und zurück in den Schatten brachte, waren ihm unangenehm. Seit dem peinlichen Gespräch im Obstgarten hatte er sie kaum gesehen. Sie wich ihm aus. Huy konnte das nicht ändern. Er konnte ihr keine Versprechungen machen. Sie fehlte ihm stärker, als er geglaubt hatte, und er fühlte sich einsam, weil sie nicht da war. Er war erleichtert, als der Choiak begann und er sich wieder auf die Schule freuen konnte.
Nachdem auch das Fest für Hathor und all die anderen Feiertage überstanden waren, wurde es dann auch endlich Zeit, sich zu verabschieden und Kers Schiff zu besteigen. Die gemeinsame Fahrt war zum angenehmen Ritual zu Beginn jedes Schuljahrs geworden. Gelegentlich durfte Huy auf den Hecksporn steigen und die Ruderpinne übernehmen. Dann saß er hoch über dem Fluss, der bereits zurückging und die kleinen Felder wieder freigab, die in der Sonne glitzerten, und es schien ihm, als hätte er sein Leben ebenso fest im Griff wie das runde Holz in seinen Händen.
In seiner Kammer begrüßte ihn der Duft frischer Wäsche mit einem Hauch von Jasmin, der von den ordentlich gefalteten Laken auf dem Bett ausging. Mit einem zufriedenen Seufzer setzte er die beiden Lederbeutel, die mittlerweile recht abgenutzt waren, auf dem Boden ab, schob die Laken beiseite und legte sich auf seine Matratze. Von Thutmosis war noch nichts zu sehen, der Freund würde erst nach dem Abendessen auftauchen. Huy schloss die Augen und lauschte den vertrauten Geräuschen des Hofs, der sich langsam füllte. Jemand rannte an seiner offenen Tür vorbei und rief: »Das sind meine Sandalen, du Trottel! Deine hast du am Badehaus vergessen!« Die gleichfalls gerufene Antwort blieb unverständlich, weil jemand anders, wahrscheinlich ein Diener, etwas fallen ließ, das sich wie eine Schüssel voll Wasser anhörte, und eine Reihe lauter Flüche losließ. Die Fetzen eines Liedes wehten über den Rasen, auf den Sopran des Jungen folgten stürmisches Gelächter und eine Rauferei. Huy überlegte träge, ob er auspacken und dann nach etwas Essbarem Ausschau halten sollte, als ein Schatten auf den Boden vor der Tür fiel. Huy setzte sich auf. Im Türrahmen lehnte Harnacht und beäugte ihn kritisch.
»So bewegungslos wie üblich«, sagte er witzelnd. »Schön, dich wiederzusehen, Huy. Wie waren deine Ferien?«
Huy stand auf und betrachtete seinen alten Beschützer neugierig. Harnachts Kopf berührte fast die
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