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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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die Platte hin. Er nahm sich einen Zwiebelstängel, an dem eine honigüberzogene Knoblauchzehe klebte, und stopfte sie sich in den Mund. Plötzlich wurde ihm die Bedeutung dessen, was er getan hatte, bewusst. Die Erschöpfung verschwand, und er hätte sich am liebsten vor Erleichterung fallen lassen.
    Die Frau legte die Rute über ihre Füße und streckte die Hände aus. »Komm her«, sagte sie. Huy gehorchte, trat auf den Sand und nahm ihre Finger. Sie waren sehr warm und fest. Plötzlich wurde ihr Griff härter, und ihr Körper zitterte erneut. »Nimm meine Rute«, zischte sie. »Schnell! Halt sie mit fest!« Huy tat, was sie sagte, und sie fasste die Rute auch, sodass sie durch ihre Hände und die Rute verbunden beieinander standen. Mit einer Intensität, die sich ihm unangenehm über ihre Haut mitteilte, starrte sie ihn an, sah über ihn hinweg und neben ihn. Huy merkte, dass sie Angst hatte. »Anubis ist an deiner Schulter«, sagte sie mit belegter Stimme. »Daneben ist Thot, und Selket hat den Arm um deinen Hals gelegt. Ihre Finger berühren ganz sanft deine Nase und deinen Mund. Ihre Ringe glitzern. Die Götter lächeln nicht. Sie warten darauf, dass ich begreife.« Sie atmete schnell. »Ich muss begreifen. Ich muss! Anubis ist der Herr aller Bau. Er hat seine Dämonenscharen nicht gegen dich ausgeschickt. Er kommt als Führer der bewaffneten Horus-Truppen. Oh! Er hält ein Bild von Schai hoch. Schicksal. Bestimmung. Du bist mit einem Schicksal gesegnet, das so einzigartig ist wie das des großen Imhotep. Irgendwie ist es mit Thot verbunden, ja. Und selbst Selket ist in ihrer gütigen Erscheinungsform hier. Ihre Skorpione schützen dich. Wir wissen, dass sie bei der Geburt von Königen und Göttern Beistand leistet. Sie ist die, ›die atmen lässt‹. Natürlich! Auf den Befehl von Atum dem Schöpfer hat sie das Leben zurück in deinen toten Körper gegossen. Aber warum? Welches Schicksal erwartet dich, Sohn des Hapu? Bist du wahrlich gesegnet oder wahrlich verdammt? Sie antworten mir nicht. Das Bild wird schwächer. Sie sind weg.«
    Die Frau sackte zusammen. Huy ließ die Rute los, die in seiner Hand rutschig geworden war, und wischte sich die verschwitzte Handfläche an seinem Schurz ab. So sehr er sich auch bemühte, er hatte nicht die leiseste Berührung der Göttin oder auch nur ihre Anwesenheit in irgendeiner Form verspürt. Aber genauso wenig war die Reaktion der Rechet auf etwas, das weder er noch Methen sehen konnte, zu leugnen. Obwohl er erschüttert war, fragte er sich kurz, ob ihr Ruf nicht eher auf ihren schauspielerischen Fähigkeiten als auf einer echten Gabe beruhte. Einen Moment lang sahen sich die alte Seherin und der junge Mann an, dann gab sie herrisch Methen ihre Rute. »Bring uns Wein«, befahl sie. Sie beugte sich herab, fuhr mit den Fingern durch den Sand, sodass die Schlangen verschwanden, nahm die Bänder mit den Kaurischnecken von Hals, Brust und Taille, warf sich vor der kleinen Chenti-Cheti-Statue nieder, die, so schien es Huy, die Vorgänge mit verhaltener Wut beobachtet hatte, und bedeute Huy, ihr in den Hof zu folgen. Methen schloss die Tür hinter ihnen.
    Die Frau ging in den Schatten der Mauer und setzte sich zusammen mit Huy auf den Steinboden. »Du bist mir ein Rätsel, Huy«, sagte sie und sprach ihn das erste Mal direkt mit seinem Namen an. »Du bist von keinem bösen Geist besessen. Du bist gestorben, und jetzt lebst du. Die Bau der Götter wurden zu dir gesandt und haben dir ein machtvolles Geschenk dargebracht, aber ich weiß weder, was es ist, noch warum. Wann ist dein Namensgebungstag?«
    »Am neunten Tag von Paophi.«
    »Ich werde nach Süden zum Chons-Tempel fahren, um im Buch vom Ende der Jahre zu lesen. Darin steht für jedes Jahr geschrieben, wer am Leben bleibt und wer stirbt. Du bist jetzt zwölf Jahre?«
    »Ja.«
    »Dann werde ich nachsehen, ob du in deinem dreizehnten Jahr sterben solltest. Wenn ich es herausgefunden habe, werde ich einen Brief an dich diktieren.«
    »Solch ein Buch gibt es?« Huy war verblüfft.
    Die Frau lächelte. »Ja, aber sein Inhalt ist nur für Seher wie mich erkennbar. Glaubst du an solche Dinge?«
    Huy zögerte. »Ich weiß nicht. Doch ich war tot, und jetzt lebe ich. Also darf man nichts, was unter den Augen von Atum existiert, anzweifeln, ob man es nun sehen kann oder nicht.«
    »Eine gute Antwort.« Sie berührte seinen Arm. »Mein Name ist Henenu. Ich nenne ihn nur ganz wenigen, denn meine Aufgabe ist es, mit Dämonen und

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