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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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bist doch nicht so ungebildet und abergläubisch wie die Bauern, die für deinen Onkel arbeiten!« Huy sagte nichts. »Ich vertraue dem Re-Oberpriester«, fuhr Methen fort. »Insbesondere, weil er sehr warmherzig und mit einem gewissen Humor über dich schreibt. Irgendwie hast du ihn beeindruckt. Er wird die richtige Entscheidung in deiner Sache getroffen haben. Ich muss jetzt gehen, Huy, aber ich werde dich zum Tempel begleiten, wenn die Rechet meint, der richtige Zeitpunkt sei gekommen. Sie wird den Tag mit einem Horoskop ermitteln und dich nicht mit einem Zauberspruch in ein Krokodil verwandeln!«
    Die Tage vergingen und Huys Ungeduld wuchs. Er hätte gern mit seiner Mutter über das gesprochen, was ihm bevorstand, aber er dachte an Methens Warnung und wollte ihr seine Angst nicht auch noch aufbürden. In einer stürmischen Nacht war Ischat wieder in sein Zimmer gekommen, doch ihre Anwesenheit konnte ihn nicht aufheitern. Sie teilte wahrscheinlich die bäuerliche Angst vor einer Rechet, und Huy war körperlich und seelisch zu erschöpft, um sie beruhigen zu können. Den Vater versuchte er aus seinen Gedanken zu verbannen. Hapu hatte ihn tief verletzt, und er wollte keinen zusätzlichen emotionalen Aufruhr.
    Am achten Tag, kurz nach Beginn der Morgendämmerung, kam Methen und führte ihn aus dem Haus und zu einer Sänfte, die auf dem Weg bereitstand. Huy hatte kaum Zeit, ein paar Züge der frischen, duftenden Luft einzusaugen, ehe die schweren Vorhänge rundum geschlossen wurden und Methens Stimme nur noch gedämpft zu ihm hereindrang: »Es ist besser, wenn du nicht gesehen wirst. Die Träger sind meine Diener. Sie wurden gereinigt und tragen Wadjet-Augen-Amulette, die sie schützen.« Seine Stimme wurde ganz leise. »Es tut mir leid, Huy, aber versuche, sie nicht zu berühren.«
    Am liebsten hätte Huy Mir auch geschrien, die Vorhänge aufgerissen und diese Feiglinge niedergerungen. Es tut mir leid, dass ich einen reichen Onkel habe, es tut mir leid, dass ich die Schule besucht habe, es tut mir leid, dass ich Sennefer nicht lange vorher in seine Schranken verwiesen habe, es tut mir leid, dass ich meiner Familie so viel Kummer bereite, dass ich besser nie geboren wäre. Doch er lehnte sich zurück und schloss die Augen.
    Er war froh, als sie am Tempel angekommen waren und er erneut die leichte Brise spüren konnte. Die Träger hatten sich sofort abgewandt – nicht aus Unhöflichkeit, wie Huy wusste, sondern damit sie keine verfluchende Geste sehen könnten, die er vielleicht machte. Bei jedem von ihnen hing ein Amulett zwischen den Schulterblättern, an der Stelle, wo Dämonen gern zuschlugen. Huy spürte ein Kichern in sich aufsteigen, und diesmal beherrschte er sich nicht. Sein Gelächter hallte von den Wänden des Chenti-Cheti-Heiligtums wider. Die Außentüren waren abgeschlossen worden, nachdem man ihn in den Innenhof getragen hatte, doch die Tür zum Heiligtum selbst stand offen. Methen machte ihm keinen Vorwurf, sondern legte den Arm um ihn und führte ihn weiter. Vor dem Eingang zogen beide ihre Sandalen aus. Huys Herz begann vor Angst und Erwartung zu hämmern. Im Dämmerlicht bewegte sich eine Gestalt. Methen schloss die Tür hinter ihnen.
    »Tritt nicht auf den Sand«, befahl die Gestalt. »Ich habe einen zeitfreien Bereich geschaffen. Komm her, Sohn des Hapu, aber tritt nicht auf den Sand.« Die Stimme war kräftig und barsch. Huy tat, wie ihm geheißen, blieb am Rand des Sandes stehen und sah die Rechet neugierig an.
    Zuerst machte er nur die Kaurischnecken aus, die zu Dutzenden um ihren Hals, an der Taille, um Hand-und Fußgelenke hingen, sodass sie bei der leisesten Bewegung klickten. Huy wusste, dass Kaurischnecken eine starke, schützende Heka-Kraft enthielten. Viele Leute trugen sie, doch da die echten selten und extrem teuer waren, stellte man die meisten aus Ton her. Diese Frau musste sehr reich sein. Sie war klein, ein wenig vom Alter gebeugt, ihre Hände und ihr Gesicht waren faltig, und das graue Haar hatte sie oben auf dem Kopf verdreht und mit einer Nadel befestigt, an der sich gleichfalls eine Schnecke befand. Das Leinen, das sie verhüllte, war, soweit man es unter den Schnecken erkennen konnte, fleckenlos weiß. In den Händen hielt sie eine schwarze Rute, die mit geschnitzten Wadjet-Augen, Fackeln, Pavianen und Katzen übersät war. Daran befestigt waren die Figuren von zwei Löwen und zwei Krokodilen, und an der einen Spitze hockte eine finstere, drohende Schildkröte. Jeder Zauberer,

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