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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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der den negativen Heka dieser Kreaturen beherrschte, konnte ihn zu seinem Schutz nutzen. Huy, dessen Augen sich mittlerweile an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah auf die Füße der Frau: Sie waren mit Schlangen bemalt, und auch in den Sand hatte sie rund um sich herum Schlangen gezeichnet.
    »Du weißt das nicht, oder?«, sagte sie. »Dein Vater geht nicht mit dem Sykomorenstab um das Haus herum, damit es vor dem Bösen geschützt ist. Er träufelt auch kein Wasser des Ptah auf die Riegel der Türen und stellt keine Renenutet-Statue auf die Felder, um seine Pflanzen zu schützen. Er hat seinem Sohn nicht die Gesetze und Gebote der unsichtbaren Welt gelehrt. Er hat ihn schutzlos gelassen.« Sie zeigte mit der Rute auf die Schlangen. »Weret-Hekau, die Große Zauberin, wird mich vor dem Dämon in dir schützen. Wenn denn ein Dämon in dir ist. Wir werden es sehen.« Sie strich mit der Rute über die Gegenstände, die zu ihren Füßen lagen. »Ich habe Exkremente mitgebracht, um den Dämon zum Essen herauszulocken, denn sein After ist sein Mund. Frische Kräuter, frisches Öl und ein Topf, in den der Dämon fallen wird. Darin wird er zerschmettert und in das fließende Wasser des Flusses geworfen. Verstehst, du was ich machen will?«
    Huy schluckte. »Du bist eine Wissende«, antwortete er heiser. »Ich verstehe es und muss dir vertrauen. Darf ich eine Frage stellen?« Sie nickte, und die Schnecken um ihren Hals klackerten. »Ich habe gehört, dass ich sterben werde, wenn ich von einem Dämon besessen bin und du ihn austreibst. Stimmt das?«
    »Ja, bei dir ist das der Fall«, bestätigte sie brutal, »denn du hast, wie viele Leute bezeugen, als Leichnam im Haus der Toten gelegen. Wenn die sechs unsichtbaren Komponenten, die zusammen mit dem Körper die Person Huy bilden, gegangen sind, handelt es sich bei dem, was das Ding belebt, welches ich sehe, um etwas, das kein Recht darauf hat, und auf meinen Befehl hin wird es ausziehen. Dann kann der Körper von Huy ordnungsgemäß einbalsamiert und ins Grab gelegt werden. Ich bin schon gereinigt und trage das Zeichen der Maat auf meiner Zunge. Und nun fange ich an.«
    Sie begann mit einem hohen, monotonen Gesang. Dabei richtete sie die Rute mit der unreinen Schildkröte direkt auf Huy, der sich bewegungslos in sein Schicksal ergab. Gelegentlich schüttelte sie die Rute, einmal drehte sie sich im Kreis und hielt viermal an, um denselben Satz nach Norden, Süden, Osten und Westen zu sagen. Huy schaute und lauschte ohne Emotionen. Jeden Moment rechnete er damit, dass sich etwas in seinem Inneren rührte, auftat und widerwillig bereitmachte, auf Befehl der Frau herauszukommen und den Körper als leblose Hülle zurückließ. Doch Huy hatte keine Angst bei dieser Vorstellung, er spürte nur Starre und die Müdigkeit, die ihn seit Tagen verfolgte.
    Die Frau bückte sich und hob den Deckel von dem Topf neben ihrem linken Fuß. Dabei hielt sie die Rute ständig fest. Augenblicklich erfüllte der Modergestank von Fäkalien das Heiligtum. Sie hielt sie Huy hin, und aus dem Gesang wurde eine lockende Einladung: Komm und iss, komm und genieß diesen Leckerbissen, den ich dir mitgebracht habe. Methen musste plötzlich niesen, und Huy hielt sich unwillkürlich die Nase zu. Die Rute zuckte fordernd zu ihm hin. In seinem Inneren reagierte nichts darauf. Viermal wurde die Einladung wiederholt, und immer noch spürte Huy nicht, dass sich in seinem Körper daraufhin etwas rührte. Zu seiner Erleichterung kam der Deckel wieder auf den Topf.
    Die Frau seufzte und begann die Zeremonie von vorn. Doch plötzlich unterbrach sie den Strom der Worte. Sie erzitterte, blinzelte, runzelte die Augenbrauen und beugte sich, den Blick starr auf Huys Gesicht gerichtet, langsam vor. Ihre Augen waren tiefblau und klar. »Gib mir die Schüssel, Methen«, sagte sie. Der Priester reichte ihr eine Platte mit Zwiebelgrün und dicken Knoblauchzehen, die mit glänzendem Honig überzogen waren. »Zwiebeln und Honig sind süß für die Menschen, aber bitter für die Toten«, flüsterte sie. »Knoblauch vertreibt die Dämonen. Willst du das essen, Sohn des Hapu?«
    Huy war ganz und gar nicht hungrig, und der Fäkalgestank lag noch in der Luft, aber er nickte, denn es war ihm klar, dass kein wütender Geist zulassen würde, dass er dieses Mahl anrührte. Kein Dämon konnte den Geruch von Knoblauch ertragen, geschweige denn den Geschmack. Die Frau, die den schützenden Stock weiterhin fest in ihrer Hand hatte, hielt Huy

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