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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Huy. Schau, ob dieses Problem vielleicht verschwindet. Mit entsetzter Selbstverleugnung legte er seine Arme um sie und zog sie an sich. Ihr ungekämmtes Haar roch nach Sonne, doch die braune Haut verströmte keinerlei Geruch. Ich könnte einen Vogel im Arm halten, dachte Huy, oder eine kleine Gazelle. In einem Anfall von Zuneigung und Mitleid nahm er ihren Kopf zwischen seine Hände und küsste sie sanft auf den Mund. »Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen.«
    Sie riss sich von ihm los. »Das ist es nicht, was ich will!«, schrie sie. »Ich liebe dich, aber ich hasse dich auch! Geh doch zurück in deine blöde Schule und küsse die mit Henna gefärbten Zehen der schönen Adeligen! Eines Tages tut es dir leid, dass du verschmähst, was ich dir so uneingeschränkt anbiete!« Sie wirbelte auf ihren bloßen Füßen herum und stürmte in den Gang.
    Huy atmete heftig aus. Der Majoranduft von Anukets Kranz stieg ihm in die Nase. Er hob ihn auf und sah sich um, wo er ihn aufhängen könnte. Gleichzeitig überlegte er aufgeregt, wo seine Lederbeutel sein könnten. Ischat würde ihr Gleichgewicht schon wiederfinden und ihn so freudig wie immer begrüßen, wenn er zurückkäme. Die Grundpfeiler seiner Welt würden wieder errichtet, und im Augenblick war er voller Vorfreude.
    Am Abend, als sie bei Linsen und Bier saßen, erklärte er seinem Vater, dass er am nächsten Tag abreisen würde. Er fragte ihn weder um Erlaubnis noch um Rat. Hapu hörte bewegungslos zu, die Augen fest auf seinen Sohn gerichtet. Huy meinte sowohl Erleichterung als auch Bedauern in seinem Blick zu erkennen. »Ich werde einen Brief an Ker schreiben. Vielleicht kannst du ihm den übergeben, Vater«, sagte Huy. »Er hat zwar nichts gesagt, aber es kann sein, dass er meine Ausbildung nicht länger bezahlen will. Oder vielleicht tut er das noch kurze Zeit, denn er fühlt sich schuldig, denke ich.« Hapu fragte nicht, welche Schuld, aber sein Blick flackerte kurz. »Ich werde auch einen Brief an Methen hier lassen. Er hat mir unendlich viel Gutes getan.«
    Hapus Lippen verzogen sich schmerzvoll. Er langte nach Heby, der auf dem Boden zwischen ihnen herumgekrochen war, und setzte das Kind auf seine Knie. »Deine unausgesprochene Anklage gegen mich ist gerechtfertigt, Huy«, sagte er langsam. »Aber vergiss bitte nicht, dass jeder Mensch seine Schwächen und Fehler hat. Meine haben dich verletzt. Das tut mir leid.« Er stellte den Becher ab und fuhr mit der Hand durch Hebys Locken. »Wenn Kers Großzügigkeit dir nicht mehr gilt, werde ich Methen bitten, um Hilfe bei der Stadt zu ersuchen und einen Brief an den Re-Oberpriester in Iunu diktieren. Vielleicht hat der Gott für einen seiner Schüler etwas übrig.«
    Beschämt berührte Huy den Fuß seines Vaters. »Danke.«
    Itu beugte sich herüber, um Hapus Becher nachzufüllen. Dabei musste sie Heby bändigen, der begeistert versuchte, die kühle braune Flüssigkeit zu fangen, die aus dem Krug floss. »Ich wünschte, du würdest dir überlegen, hier zu bleiben«, sagte sie heftig. »Du müsstest nicht auf den Feldern arbeiten, nicht wahr, Hapu? Ker würde dich zum Parfümhersteller ausbilden, da bin ich ganz sicher. Schließlich kannst du lesen und schreiben. Du wärst ihm eine große Hilfe.« Sie sah Huy flehend an. »Du bist noch nicht gesund, Huy, du hast immer noch nicht deine volle Kraft zurück. Bitte bleib bei uns!« Hapu stimmte in die Bitte nicht ein. Den Blick auf den Becherrand gerichtet, trank er betont konzentriert sein Bier.
    »Nein«, antwortete Huy fest. »Ich liebe die Schule, und ich möchte meine Ausbildung gern abschließen. Ich bin satt, Mutter. Kann ich mich zurückziehen?« Sie nickte resigniert.
    Am Anfang des Gangs blieb er stehen und schaute zurück. Itu hatte die eine Hand auf die Schulter ihres Mannes gelegt und sah zu ihm auf. Er blickte mit einem sanften Lächeln zu ihr herüber, und hinter dem ausgestreckten Arm leuchtete Hebys Kopf im warmen Schein der Lampe. Huy wurde seine Liebe zu den dreien ebenso wie der eigene Kummer bewusst – und auch, dass sie sich selbst genügten und er nicht mehr dazugehörte. Natürlich würde er weiterhin in dieses Haus kommen, es würde Gelächter und angeregte Gespräche geben, doch die Wochen des Entsetzens und des Rausches hatten das Band der Kindheit gelockert und ihn rascher reifen lassen. Huy war zum Mann geworden.
    Er ging in das Schlafzimmer seiner Eltern, öffnete die Kleidertruhe seiner Mutter und tastete in der Dunkelheit, bis

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