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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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nicht ausmachen. »Wie reich muss Nacht doch sein«, sagte sie. »Und wie großzügig er ist. Er muss dich sehr schätzen, Huy.«
    Huy murmelte etwas Unverbindliches und stand mit dem Kranz in der Hand auf. »Ich gehe in mein Zimmer, um zu packen«, erklärte er ihr. »Nacht wird mich morgen mit nach Iunu nehmen. Ich werde es Onkel Ker in einen Brief schreiben und mit Vater heute Abend darüber sprechen. Aber ich glaube, er hat keine Einwände.«
    Seine Mutter sah ihn durchdringend an. »Du solltest auf die Erlaubnis des Vorstehers warten und die Angelegenheit mit Hapu besprechen, ehe du packst, das gebietet der Respekt«, wandte sie ein.
    Huy schüttelte den Kopf. Das Weglaufen seines Vaters und die Feigheit seines Onkels machten ihn rebellisch. »Ich glaube nicht«, antwortete er. »Ich liebe sie beide, aber ich bin entschlossen, zu gehen, egal, was sie sagen. Vieles hat sich verändert, Mutter.«
    Sie biss sich auf die Lippe, streckte ihm die Hand hin und sagte einfach: »Ich weiß, mein Schatz. Du bist derselbe und bist es doch nicht. Das spüre ich.«
    Huy ergriff ihre Finger. Dabei verspürte er, wie sich etwas in ihm rührte, das noch fremd war: ein verführerischer Drang, doch einen Blick – nur einen ganz flüchtigen Eindruck – auf ihr Schicksal zu wagen. Er beantwortete das mit einem heftigen inneren Nein!, und zu seiner Erleichterung klang das Gefühl sofort ab. Ich kann es also im Zaum halten, dachte er, beugte sich herunter und küsste sie auf die Wange. Ich bin dem Zerren des tückischen Drangs nicht hilflos ausgeliefert. Ich kann meinen Verstand vielleicht bewahren. Er ließ sie allein und ging in sein Zimmer.
    Dort saß Ischat im Schneidersitz auf seinem Bett und säuberte ihre Fingernägel mit dem spitzen Ende eines seiner Pinsel. Senet-Spielsteine waren auf dem zerknüllten Laken verstreut, sein Zedernholzkästchen stand offen auf dem Boden, und daneben lag seine Palette. Als er durch den Gang kam, warf sie ihm einen schmollenden Blick zu und öffnete den Mund. Doch Huy ließ ihr keine Chance, etwas zu sagen. Wütend ließ er den Kranz fallen, lief zu ihr hin, riss ihr den Pinsel aus der Hand und zerrte sie von dem Bett herunter auf den Stuhl. Mit zusammengepressten Lippen sammelte er die Spielsteine ein und tat sie in das Senet-Brett. Dann wischte er den Pinsel demonstrativ an seinem Schurz ab, ehe er ihn wegpackte. Ischat schnaubte, sagte aber nichts. Erst nachdem er den Inhalt des Kästchens geprüft und die Palette weggelegt hatte, wandte er sich zu ihr um. »Wenn ich dich je wieder dabei erwische, dass du ohne meine Erlaubnis in meinen Sachen herumwühlst, lasse ich dich auspeitschen. Diese Befugnis habe ich, und das weißt du, Ischat. Es wäre eine Schande für deine Eltern. Was hast du dir dabei gedacht?« Er hob den Kranz auf und legte ihn aufs Bett.
    »Ich wurde hergeschickt, um den Boden zu fegen«, antwortete sie störrisch und deutete auf den Besen, der neben dem Fenster lehnte, »aber ich hatte heute keine Lust zu arbeiten. Deshalb habe ich nur auf dich gewartet.« Ihre Augen verengten sich. »Ich habe dich mit deinen neuen Freunden im Garten gesehen. Ich habe gesehen, wie du diese verzärtelte Prinzessin umarmt hast. Ist sie diejenige, die du liebst, Huy? Ist sie das?«
    Huy bemühte sich, hinter der Eifersucht, die Ischats Gesicht zur Fratze werden ließ, ihren Schmerz zu erkennen. »Sie ist die Schwester meines Freundes, des jungen Mannes, der bei uns saß«, begann er mit möglichst vernünftiger Stimme zu erklären. »Und sie ist überhaupt nicht verzärtelt, im Gegenteil, ihr Vater ist sehr streng mit seinen Kindern. Und ja, ich mag sie, Ischat. Sie und alle anderen in der Familie sind sehr gut zu mir, und ich bin gern mit ihnen zusammen. Ich kehre morgen nach Iunu zurück. Ich muss packen, geh jetzt bitte.«
    Sofort glitt sie von dem Stuhl und rannte zu ihm. »Es tut mir leid, Huy. Verzeih mir. Ich habe kein Recht, deine Sachen anzufassen, aber ich war wütend. Du machst mich so einsam. Ich vermisse dich so sehr.«
    Sie hat nie an mir gezweifelt, rief sich Huy ins Gedächtnis. Sie hatte weder Angst vor mir, noch hat sie mich gemieden. Er zwang sich, dem Flehen in den dunklen Augen so dicht vor sich nachzukommen.
    »Du bist meine älteste Freundin, Ischat. Dafür liebe ich dich. Warum genügt dir das nicht?« Leg die Hände auf ihre Schultern, flüsterte etwas in seinem Inneren. Wirf einen Blick in ihre Zukunft. Vielleicht muss sie früh sterben … Finde deinen Seelenfrieden,

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