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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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gelegentlich immer noch bekümmert, aber wenn er sieht, wie ich mich entwickele, ist er erleichtert. Ich achte die Götter und meine Eltern, und ich bin keusch. Ich bin keusch«, wiederholte sie.
    Huy beugte sich herunter. Der Brunnen war tief und das Wasser kalt und dunkel. Jetzt ertrinke ich wieder.
    »Was willst du mir damit sagen, Anuket?«, fragte er ihre abgewandte Wange. »Natürlich bist du das Wasser, rein und tugendhaft. Hast du Angst, dass die Macht deines Namens stärker sein könnte als deine Tugend und du dich wie die Göttin änderst?«
    »Nein!« Ihr Gesicht war rot angelaufen. »Ich wusste nicht, ob du Anuket in ihrer heutigen, erniedrigten Gestalt kennst. Ich wollte nicht, dass du denkst … Ich würde lieber Satis heißen, dann könnte ich die Göttin verehren, die am Tor zur Duat mit vier Krügen reinigenden Wassers steht, das sie über jeden König gießt, der das Reich der Toten betritt. In meinem Schlafzimmer steht keine Anuket-Statue.«
    »Anuket …«
    Sie unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Ich werde versuchen, alle guten Seiten anzunehmen. Ich habe nie Begierde verspürt, doch wenn ich es je tue, werde ich ihr nicht gestatten, mich zu überwältigen. Selbst wenn ich sie verspüre!«
    Hast du sie gerade verspürt und verworfen, Anuket?, fragte sich Huy. Oder hast du meine Begierde gefühlt, und das Gespräch über deinen Namen ist eine unausgesprochene Warnung?
    Mit traurigem Vergnügen küsste er sie sanft auf den Kopf. »Für mich wirst du immer Wasser sein, liebste Schwester«, versicherte er. »Wir haben doch gesagt, dass wir Freunde sind.« Huy drehte sich um und ging schnell weg, ehe die Liebeserklärung, die ihm auf der Zunge lag, sich Bahn brechen und Anukets hohe Meinung von ihm für immer zerstören würde.
    Am zweiten Tag des Festes besuchte die Familie gemeinsam die Feierlichkeiten im Tempel, wo Anuket ihre Girlande darbrachte und überall die grauen Räucherharzschwaden aufstiegen, während die Tempeltänzerinnen ihre altehrwürdigen Schrittfolgen vor dem Allerheiligsten aufführten. Danach veranstaltete Nacht in seinem Garten ein Fest für zahllose Gäste und Regierungsmitglieder. Mit vollem Bauch und einem Becher Dattelwein in der Hand schlenderte Huy ziellos und zufrieden im Schein der Fackeln durch die Menge. Nachts Anwesen vermittelte ihm das wohlige Gefühl von Sicherheit und Frieden. Hätte es nicht die Unruhe gegeben, die die Begegnung mit Anuket ausgelöst hatte, wäre er rundum glücklich gewesen. Zwischen den Gruppen juwelengeschmückter, geschminkter Gäste, die sich fanden, zerstreuten und wieder zusammentrafen, erhaschte er immer wieder einen Blick auf sie. Sie war in dünnes weißes Leinen gekleidet, das im Abendwind flatterte, und auf dem Kopf trug sie einen Parfümkegel, der langsam schmolz, als Öl über ihre Schultern sickerte und sich unter ihrem Gewand verborgen zwischen ihren Brüsten sammelte. Bei vielen Festteilnehmern war kostbarer Weihrauch in das Wachs ihres Kopfschmucks eingeknetet, sodass sein Geruch allgegenwärtig war und Huy an einen Tempel erinnerte – was ihn wiederum auf das brachte, was sie am Nachmittag gesagt hatte. Er wusste nicht, ob sie ihm absichtlich aus dem Weg ging, doch jedes Mal, wenn er sich ihr nähern wollte, schlüpfte sie weg und erschien bald mit einem neuen Gegenüber. Schließlich gab ihr ihre Mutter ein Zeichen, und sie verschwand gehorsam im Haus.
    Thutmosis tauchte neben ihm auf. »Ich bin verschwitzt und gelangweilt«, sagte er. »Lass uns schwimmen gehen. Vater hat nichts dagegen. Ich habe meine Pflicht getan und jeden Würdenträger begrüßt. Schnell, ehe Nascha mitkommen will.«
    Huy trank seinen Wein aus, und die beiden entfernten sich. Sie gingen durch das Gebüsch zum Fluss, wo Nachts bewachte Anlegestufen grau im Mondlicht schimmerten, und weiter zu einer winzigen Bucht, die frei von Schilf war. Dort legten sie ihren Schmuck, ihre Schurze und Lendentücher ab und wateten ins dunkle Wasser. Huy schwamm Richtung Flussmitte und blickte dann zurück. Hinter Thutmosis’ auf und ab tanzendem Kopf verloren sich die still gewordene Stadt und ihre herrschaftliche Flotte in der Dunkelheit, nur die wunderschönen Steingebäude Iunus hoben sich von dem Sternenhimmel ab. Fackeln leuchteten von den Tempeldächern und aus den Gärten der Anwesen am Wasser, wo andere reiche Festbesucher feierten, ohne dass der Lärm bis zu ihnen drang. »Ich liebe diese Stadt«, sagte Huy gerührt.
    Thutmosis kam keuchend näher. »Ich

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