Der Seher des Pharao
außer von dir offenbar! Du bist die erste Person, die sie angegriffen hat.«
Huy antwortete nicht. Er wusste, warum die Katze nicht von ihm gestreichelt werden wollte. Katzen konnten geistige Abweichungen bei Menschen spüren.
Anuket kam mit einem Schälchen zurück. Sie hockte sich im Schneidersitz neben Huy, nahm sanft seine Hand und legte sie auf ihr Knie. Sofort tropfte sein Blut auf ihr helles Leinenkleid, aber sie kümmerte sich nicht darum. »Unser Arzt hat dieses Mittel aus verschimmeltem Brot, gemahlenem Ebereschenholz und Honig hergestellt«, erklärte sie. »Es verhindert, dass Uchedu entsteht.« Sie wischte die Wunde sorgfältig mit einem feuchten Tuch ab, holte die Salbe mit dem Zeigefinger aus dem Schälchen und verteilte sie auf Huys Handrücken. Huy schloss die Augen und spürte selig ihr warmes Knie und ihren streichelnden Finger. »Ich tue den Rest in ein Fläschchen, sodass du jedes Mal nach dem Händewaschen wieder Salbe auftragen kannst«, sagte sie und stand wieder auf. »Ich entschuldige mich für meine Katze, Huy.«
»Das war nicht schlimm«, antwortete Huy scheinbar lässig. »Auf dem Sportplatz habe ich schon Schlimmeres abbekommen. Aber danke für die Versorgung. Ich werde deine Anweisungen befolgen.« Ärgerlich, weil seine Gefühle ihm einen Knoten in die Zunge gemacht hatten, stand er auf. Da er einen Kopf größer war als sie, hatte er nun das Vergnügen, dass sie ihr Gesicht nach oben drehte, um ihm in die Augen zu sehen. »Dies ist für eine ganze Weile die letzte Nacht in diesem Haus, und ich möchte die Annehmlichkeiten des Zimmers, das ich immer als meines betrachte, voll auskosten. Schlaf gut, Wasser-Dame.«
Sie lächelte erfreut, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. »Du auch. Wir essen morgen noch zusammen, ehe die Sänftenträger euch zurück in den Tempel bringen.«
»Wasser-Dame?«, hörte Huy Thutmosis fragen, als er durch den Flur ging. »Hast du ihm von deiner Namensgebung erzählt, Anuket?«
Huy hätte gern ihre Antwort gehört, aber er wollte sie nicht belauschen. Also zwang er sich weiterzugehen. In seinem Zimmer hatte ein Diener den Lampendocht gestutzt und wartete darauf, ihm heißes Wasser zu bringen. Als Huy dann später unter dem Laken aus feinem Leinen lag, ließ er die Wundbehandlung vor seinem inneren Auge noch einmal ablaufen, und es fiel ihm auf, dass Anuket vorher noch nie so viel Aufwand wegen einer Kleinigkeit betrieben hatte.
Am nächsten Morgen gab sie ihm ein Fläschchen aus blauer Fayence, das die Form einer Lotusknospe hatte. »Ich habe mein Kajalpulver darin aufbewahrt«, erklärte sie ihm atemlos. »Aber der Arzt hat es gründlich ausgewaschen, ehe er deine Salbe hineingetan hat. Wenn es leer ist, kannst du es ja für etwas anderes benutzen – Räucherharzkügelchen für den Gott deiner Stadt, dein Lieblingsparfüm oder auch Haaröl.«
Er dankte ihr überschwänglich, betastete das kostbare Glas – Zeichen des Wohlstands ihres Vaters – und fragte eindringlich: »Willst du es nicht zurückhaben, Anuket? Ein Gefäß aus Ton wäre vielleicht besser. Ich habe Angst, dass ich das Fläschchen verliere.«
»Du verlierst es nicht.« Das war eine Feststellung, keine Frage.
»Nein. Wenn ich die Salbe aufgebraucht habe, lege ich es in das Zederkästchen zu meinen anderen Schätzen. Ich werde es mir oft ansehen. Es ist wunderschön.« Doch seine Augen sagten ihr, dass er dabei ihre Schönheit meinte.
Sie senkte den Blick. »Auf Wiedersehen, Huy. Bis zum nächsten Mal. Ich bin sicher, dass auf deiner Hand keine Narbe zurückbleibt.« Die Sänfte wartete, und Thutmosis klopfte schon ungeduldig mit dem Fuß. Huy verbeugte sich höflich vor ihr und rannte los.
Nachdem sie eine Weile schweigend in der Sänfte gesessen hatten, zog Thutmosis die Vorhänge zu. »Die Sonne brennt heute sehr, und es kommt kein Wind vom Fluss«, sagte er obenhin. »Tut deine Hand sehr weh, Huy? In einer Katzenschramme kann rasch Uchedu entstehen. Anuket hatte recht, sie so ernst zu nehmen.« Er zupfte umständlich an den Vorhängen und zog eine leichte Grimasse. Huy erkannte, dass der Freund verlegen war.
»Ich wollte noch nicht mit dir über sie sprechen«, sagte Huy. »Du sagst mir immer die Wahrheit, Thutmosis, und die möchte ich nicht hören, jedenfalls nicht von dir. Nascha hat sie mir ja schon um die Ohren geschlagen. Hat sie recht? Ist es lächerlich, dass ich Anuket liebe?«
Thutmosis drehte sich erleichtert zu Huy herum. »Ist es in
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