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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Eleazar letzte Woche im Casino von Eilat Poker gespielt, und der König setzte drei Kamele und eine Ölquelle, und der Premier ging höher mit fünf Schweinen und einem U-Boot, so daß der König…« Oh nein, es ist zu blöd zum Wiederholen.) Natürlich erschien Quinns Auftritt abends in allen Programmen, und am nächsten Tag wurde das Rathaus von wütenden Telegrammen überschwemmt. Mardikian rief mich an und sagte, vor dem Gebäude stünden Demonstranten des Bnai B’rith, des Vereinigten Jüdischen Mahnrufs, der Jüdischen Verteidigungsliga, die ganze Scharfmachermannschaft aus dem Hause David. Ich ging hinüber, schlich mich durch den Mob empörter Hebräer und wollte beim ganzen Kosmos um Verzeihung bitten, daß ich durch mein Schweigen dies alles hatte geschehen lassen. Lombroso war beim Bürgermeister. Wir tauschten Blicke aus. Ich fühlte mich triumphal – hatte Carvajal den Vorfall nicht genauestens vorhergesagt? – und schafsköpfig; Angst hatte ich auch. Lombroso zwinkerte mir kurz zu, was ein Dutzend Bedeutungen haben konnte, aber ich nahm es als beruhigenden und vergebungsvollen Zuspruch.
    Quinn war durchaus nicht aus der Fassung gebracht. Kess tippte er mit der Spitze seines Schuhs gegen den riesigen Karton voller Telegramme und sagte mit durchtriebener Stimme: »Und so beginnen wir unsere Werbung um die Gunst des amerikanischen Wählers. Ein kleiner Fehlstart, nicht wahr, mein Junge?«
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte ich ihm, Pfadfindereifer in meiner Stimme. »Das ist das letzte Mal, daß so etwas passiert.«
     
25
    Ich rief Carvajal an. »Ich muß mit Ihnen reden«, sagte ich.
    Wir trafen uns auf der Hudson Promenade in der Nähe der Zehnten Straße. Das Wetter war unheildrohend, dunkel, feucht und warm, der Himmel von einem bösartigen grünlichen Gelb, schwarzrandige Gewitterwolken türmten sich hoch auf über New York Jersey, und eine Stimmung bevorstehender Apokalypse durchdrang alles. Pfeile grimmigen, verfärbten Sonnenlichts, eher graublau als golden, brannten durch eine Filterschicht düsterer Wolken, die sich wie eine zerknüllte Decke in der Himmelsmitte ausbreitete. Absurdes Wetter, opernhaftes Wetter, ein lauter, übermäßig betonter Hintergrund für unser Gespräch.
    Carvajals Augen leuchteten unnatürlich. Er sah größer, jünger aus, wie er da auf seinen Fußballen die Promenade entlangjazzte. Warum gewann er zwischen jeder unserer Begegnungen neue Kräfte?
    »Also?« forderte er mich auf.
    »Ich möchte sehen können.«
    »Dann sehen Sie doch. Ich hindere Sie nicht, oder?«
    »Seien Sie ernst«, bat ich.
    »Das bin ich immer. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Bringen Sie es mir bei.«
    »Habe ich Ihnen je gesagt, es könnte beigebracht werden?«
    »Sie sagten, jeder habe die Gabe, aber nur sehr wenige wüßten damit umzugehen. Also. Zeigen Sie mir, wie man damit umgeht.«
    »Der Umgang damit kann vielleicht erlernt werden«, sagte Carvajal, »aber er kann nicht gelehrt werden.«
    »Bitte.«
    »Warum so eifrig?«
    »Quinn braucht mich«, sagte ich kleinlaut. »Ich möchte ihm helfen, Präsident zu werden.«
    »Na und?«
    »Ich möchte ihm helfen. Dazu muß ich sehen.«
    »Aber Sie können so gut Trends ermitteln, Lew!«
    »Das reicht nicht. Das reicht nicht.«
    Donner dröhnte über Hoboken. Ein naßkalter Wind aus Westen rührte die zusammengeklumpten Wolken auf. Die Kulisse, mit der uns die Natur versorgte, war in grotesker, komischer Weise übertrieben.
    »Angenommen, ich würde von Ihnen erwarten, mir vollständige Kontrolle über Ihr Leben zu geben«, sagte Carvajal. »Angenommen, ich würde verlangen, daß Sie mich jede Entscheidung für Sie machen lassen, daß Sie all Ihr Tun nach meinen Anweisungen ausrichten, daß Sie Ihr Leben völlig in meine Hand geben, und angenommen, ich würde sagen, daß dann eine Chance besteht, daß Sie sehen lernen. Eine Chance. Was würden Sie darauf antworten?«
    »Ich würde sagen: abgemacht.«
    »Wissen Sie, sehen ist vielleicht nicht so wunderbar, wie Sie es sich vorstellen. Im Moment halten Sie es für den magischen Schlüssel zu allem. Was, wenn es sich als bloße Last und als Hindernis entpuppen würde? Als Fluch?«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Wie wollen Sie das wissen?«
    »Eine derartige Fähigkeit kann eine ungeheuer positive Kraft sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie für mich nicht wohltätig wäre. Ich sehe die möglichen negativen Aspekte, klar, aber trotzdem – ein Fluch? Nein.«
    »Und wenn es doch einer

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