Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
möchte, daß wir uns wie zivilisierte Menschen trennen, Sundara.«
    Sie lächelte. Mona Lisa von Bombay.
    »Du hast nichts zu sagen?« fragte ich.
    »Nicht wirklich.«
    »Ist Scheidung so eine Kleinigkeit für dich?«
    »Scheidung und Ehe sind Aspekte derselben Illusion, mein Schatz.«
    »Ich glaube, diese Welt ist für mich wirklicher als für dich. Das ist ein Grund, warum es nicht gut wäre, weiter zusammenzuleben.«
    Sie fragte: »Werden wir uns um die Dinge schlagen, die wir gemeinsam besitzen?«
    »Ich hab’ dir gesagt, ich will, daß wir uns wie zivilisierte Menschen trennen.«
    »Gut. Ich auch.«
    Die Leichtigkeit, mit der sie all dies hinnahm, machte mich sprachlos. Wir hatten uns in letzter Zeit so sehr auseinandergelebt, daß wir nie auch nur über die wachsenden Schwierigkeiten der Verständigung zwischen uns gesprochen hatten; aber es gibt viele Ehen, in denen es Jahrhunderte so weitergeht, die friedfertig dahintreiben, niemand will das Boot schaukeln. Nun machte ich mich daran, das Boot zu versenken, und sie gab nicht einen Kommentar.
    Acht Jahre gemeinsamen Lebens; plötzlich hole ich die Anwälte; Sundara gibt keinen Kommentar. Ihre Unerschütterlichkeit war ein Maß der Veränderung, die Transit in ihr bewirkt hatte, sagte ich mir.
    »Nehmen alle Transiter große Umwälzungen in ihrem Leben so gelassen hin?« fragte ich.
    »Ist dies eine große Umwälzung?«
    »Mir kommt es so vor.«
    »Für mich ist es nur der Schlußstrich unter eine Entscheidung, die vor langer Zeit gefällt wurde.«
    »Es war eine schlimme Zeit«, gab ich zu. »Aber selbst in den schlimmsten Momenten habe ich mir immer wieder gesagt, es ist nur eine Phase, es geht vorbei, jede Ehe macht so etwas durch, wir werden aber schließlich doch wieder zusammenkommen.«
    Während ich redete, entdeckte ich mich bei dem Versuch, mich zu überzeugen, daß das alles immer noch zuträfe, daß Sundara und ich als die im Grunde vernünftigen Menschen, die wir waren, doch noch zu einer fortdauernden Beziehung finden könnten. Und doch bat ich sie, sich einen Anwalt zu nehmen. Ich erinnerte mich, wie Carvajal, mit unerschütterlicher Endgültigkeit in seiner Stimme, mir sagte, Sie haben sie verloren. Aber er hatte von der Zukunft gesprochen, nicht der Vergangenheit.
    Sie sagte: »Und jetzt denkst du, es wäre hoffnungslos, ist es das? Was hat deine Meinung geändert?«
    »Nun…«
    »Hast du deine Meinung geändert?«
    Ich sagte nichts.
    »Ich glaube nicht, daß du die Scheidung wirklich willst, Lew.«
    »Doch«, sagte ich mit belegter Stimme.
    »Sagst du.«
    »Ich habe dich nicht gebeten, meine Gedanken zu lesen, Sundara. Ich bitte dich nur, den juristischen Tanz mitzumachen, dem wir folgen müssen, wenn wir unsere getrennten Wege gehen wollen.«
    »Du willst die Scheidung nicht, und doch willst du sie auch. Wie seltsam, Lew. Eine solche Verfassung ist eine vollkommene Transit-Situation, das, was wir einen Schlüsselmoment nennen, eine Situation, in der man gleichzeitig entgegengesetzte Positionen einnimmt und versucht, sie in Einklang zu bringen. Das kann drei verschiedene Ergebnisse haben. Möchtest du dir das anhören? Eine Möglichkeit ist Schizophrenie. Eine andere ist Selbstbetrug, wenn man sich vormacht, beide Alternativen zu umfassen, ohne es in Wirklichkeit zu tun. Und die dritte ist der Zustand der Erleuchtung, den wir in Transit…«
    »Bitte, Sundara.«
    »Ich dachte, du wärst interessiert.«
    »Bin ich wohl doch nicht.«
    Sie musterte mich lange. Dann lächelte sie. »Diese Scheidungssache hat irgend etwas mit deiner Gabe der Voraussicht zu tun, nicht wahr? Im Moment willst du eigentlich gar keine Scheidung, obwohl unser Zusammenleben nicht sehr gut ist; aber nichtsdestoweniger meinst du, du solltest sie in die Wege leiten, weil du ahnst, daß es in naher Zukunft soweit sein wird, und – ist es nicht so, Lew? Komm: Sag mir die Wahrheit. Ich werde nicht böse sein.«
    »Du bist ziemlich nah dran«, sagte ich.
    »Dachte ich mir. Also, was sollen wir machen?«
    »Uns auf Bedingungen der Trennung einigen«, erwiderte ich grimmig. »Nimm dir einen Anwalt, Sundara.«
    »Und wenn ich das nicht tue?«
    »Du meinst, du willst dich nicht scheiden lassen?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Ich möchte nur einfach keinen Anwalt einschalten. Laß uns das selbst erledigen, Lew. Wie zivilisierte Menschen.«
    »Das muß ich erst mit Komurjian besprechen. Ein solches Vorgehen wäre vielleicht zivilisiert, aber vielleicht auch nicht klug.«
    »Denkst

Weitere Kostenlose Bücher