Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
einem Raum zwei Türen weiter ab. Das Gemach einer Ehefrau oder einer Geliebten hätte gleich neben seinem Schlafgemach liegen müssen, doch das war nun nicht mehr möglich, da er dieses Zimmer als sein Privatgemach nutzte.
»Ich würde mich unten im Saal in der Nähe des Kamins wohler fühlen«, vertraute sie ihm plötzlich mit zitternder Stimme im Flüsterton an. Er drehte sich zu ihr um und bemerkte den ängstlichen Ausdruck ihrer Augen. Die Frage war, ob sie sich vor ihm fürchtete oder vor dem geschlossenen Raum, den er mit ihr teilen würde.
»Ihr müsst keine Angst haben, Isobel. Dieser Raum wird Euch gefallen, er ist eines meiner bevorzugten Gemächer.« Er hob den Riegel an und drückte die Tür auf, dahinter kam keine dunkle Kammer zum Vorschein, sondern ein Zimmer, das von einem Licht in allen Farbtönen beleuchtet wurde.
Er machte einen Schritt zur Seite, um sie eintreten zu lassen. Dass ihr bei diesem Anblick der Atem stockte, löste bei ihm eine unerklärliche Freude aus.
Ehrfürchtig schien sie in das Gemach zu schweben, dann drehte sie sich langsam um sich selbst. »Das ist ja noch beeindruckender als der Saal.« Fast liebevoll betrachtete sie jedes der hohen, schmalen Fenster, die die Außenmauer des Raums säumten. Dünne Glasscheiben in einem sich wiederholenden Muster aus Orange, Purpur, Gold, Blau und Grün tauchten das Zimmer in ein verwirrendes Farbenspiel. Wolf musterte aufmerksam ihr Gesicht und erfreute sich an jeder kleinen Regung, die ihm verriet, dass ihr gefiel, was sie da sah.
Sie ging zu einem der Fenster, streckte die Hand aus und berührte mit der Fingerspitze eine purpurfarbene Scheibe. Sofort zog sie die Hand zurück, als habe sie erwartet, dass sich das Glas angenehm warm anfühlte, aber nicht so kalt.
Wolf wandte den Blick von ihrem beeindruckten Gesicht ab und sah zu den Schatten der Bäume im Westen, die durch das Fenster zu sehen waren und die die dortige Grenzlinie seines Grund und Bodens darstellten. Glasarbeiten waren keine Beschäftigung für einen Krieger, nicht einmal für einen Burgherrn, doch diese Tätigkeit verschaffte ihm Entspannung, wenn die Verantwortung seiner Stellung allzu schwer auf ihm lastete. In der letzten Zeit hatte er viele Stunden vor dem Brennofen gesessen und Buchenholzasche und gewaschenen Sand zum Schmelzen gebracht, um Glas herzustellen, während er darüber nachdachte, wie er mit seinem feindseligen Nachbarn westlich der Burg verfahren sollte.
Lord Henry Grange war ein gehässiger Mensch und Burgherr, was sich allein daran zeigte, dass viele seiner Kleinpächter und Diener ihm den Rücken gekehrt und Wolf gebeten hatten, auf Duthus Castle unterkommen zu dürfen. Wolf hatte ihnen allen Obdach gewährt, was Grange nur noch wütender machte.
Wolf richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Isobel und erschrak leicht, als er sah, wie sie ihn anschaute.
»Wer hat diese Wunderwerke geschaffen?«
Die Ehrerbietung in ihrem Tonfall traf ihn völlig unvorbereitet, da er in Gedanken nach wie vor bei seinem Feind war. Ein lautes Geräusch an der Tür ersparte es ihm, ihr antworten zu müssen.
Die Tür ging auf, Hiram kam herein und trug eine große kupferne Wanne ins Zimmer. Der hünenhafte Krieger stellte sie nahe dem Kamin ab und sagte verhalten »Mylady«, wobei er darauf achtete, dass er seine entstellte Gesichtshälfte von Isobel abgewandt hielt.
Zorn flammte in Wolf auf, als er daran dachte, welch grausame Verletzung Grange einem seiner eigenen Krieger zugefügt hatte, nur weil der in einer Schlacht nicht siegreich gewesen war. In diesem Moment sah Hiram ihn an und bemerkte Wolfs finstere Miene. Prompt wurde er blass und stammelte: »Verzeiht, Mylord, ich … ich wollte nicht stören.«
Wolf schüttelte besänftigend den Kopf. »Du bist nicht der Grund für meine Verärgerung, Hiram. Danke für deine Bemühungen.«
Hiram verbeugte sich und wandte sich zum Gehen, als ein erschrockenes Keuchen ihn veranlasste, sich zu Isobel umzudrehen. Erst als ihm bewusstwurde, dass sie sein Gesicht ganz sehen konnte, hob er rasch die Hände und flüchtete aus dem Zimmer.
Isobel starrte ihm nach, dann drehte sie sich zu Wolf um und sagte in vorwurfsvollem Ton: »Der Mann hat Angst vor Euch! Ihr habt ihn verletzt.«
Wolf presste die Lippen zusammen und versuchte, die Wut zu unterdrücken, die ihre Worte bei ihm auslösten, da sie eine alte Wunde aufrissen. Warum unterstellte ihm jeder immer nur die schlimmsten Dinge? Er wollte erklären, wie es sich
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