Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
Schicksal ergeben, holte er den Stab mit dem dickflüssigen blauen Glas an einem Ende aus den Flammen. Er griff nach dem zweiten Metallstab und übernahm damit die Glaskugel. Nachdem das geschafft war, zog er seinen Dolch und schnitt sie auf einer Seite auf.
Mit bedächtigen und gleichmäßigen Bewegungen drehte er den Stab in seiner Hand, so dass sich das Glas an der aufgeschnittenen Stelle in die Länge streckte und mit jeder weiteren Drehung die Form eines Kegels annahm. Das Gewicht des Stabs zog seinen Arm nach unten, und Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Diese präzisen Bewegungen waren Kraftübungen für seine Arme, die ein Schwert niemals leisten konnte, und sie befreiten ihn auch von der Anspannung in Schultern und Nacken … und in seiner Seele.
Hier fand er Ruhe und Frieden.
Er gestattete es dieser Empfindung, sich einen Weg durch seinen ganzen Körper zu bahnen und ihn von den Alltagssorgen zu befreien. Selbst die Probleme, die er sich mit Isobel aufgehalst hatte, schienen nicht länger so erdrückend oder entmutigend. Jemand hatte versucht sie zu töten. Er musste nicht nur herausfinden, wer ihren Tod wollte, sondern auch warum.
Brahan konnte ihm helfen. Er könnte ihn auffordern, den Schicksalsstein zu benutzen, um den Schuldigen zu entlarven. Aber um welchen Preis? Jedes Mal, wenn Brahan den Stein benutzte, um die Zukunft vorherzusagen, wurde ihm ein Stück seines Lebens entrissen.
Die erneute Anspannung bewirkte ein Ziehen im Nacken. Er kehrte an den Ofen zurück und hielt das Glas wieder in die Flamme, damit es weich und geschmeidig blieb, bis es seine endgültige Form erreicht hatte.
Wieder in diesen Schaffensprozess vertieft, ließ das Ziehen sogleich nach. Weder Brahan noch der Stein waren die Antwort auf diese Situation. Nein, Isobel selbst wusste am besten, wer es auf sie abgesehen hatte. Nach dem Angriff auf dem Burghof hatte er es ihr ansehen können. Dass sie die Wahrheit vor ihm verschwieg, machte er ihr nicht zum Vorwurf, schließlich hatte sie wirklich keine Veranlassung, ihm zu vertrauen
Vielleicht würde sie sich ihm anvertrauen, wenn sie sich erst einmal an diese neue Umgebung gewöhnt hatte. Er hielt den Metallstab fester umschlossen. Zwang er sie zur Heirat, dann würde sie sich ihm ganz sicher nicht anvertrauen, doch was blieb ihm anderes übrig?
Er hatte einfach keine andere Wahl.
Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf den Stab in seiner Hand. Keiner von ihnen hatte eine andere Wahl, was diese Heirat anging. Aber womöglich konnte er sie ja davon überzeugen, dass es für sie beide das Beste war, sich widerspruchslos den Forderungen des Königs zu beugen. Schließlich wusste er nur zu gut, was geschehen konnte, wenn er gegen seinen Vater aufbegehrte.
Wolf zog das Glas aus dem Ofen, hielt die Stange in Hüfthöhe und drehte sie zügig zwischen den Händen. Der längliche Kegel reagierte sofort auf die Bewegung und nahm eine flache, runde Form an. Er drehte weiter, bis aus dieser Form eine dünne, bläulich schillernde Scheibe wurde, die er für die Verwendung in einem Fenster zurechtschneiden konnte. Er ging zum Ofen und verteilte die Kohlen am Ofenrand, dann trennte er die Glasscheibe von der Stange ab und legte sie auf die heiße Oberfläche, wo sie zusammen mit den Kohlen abkühlen konnte.
Zufrieden lehnte er den Metallstab gegen die Wand und ging einen Schritt nach hinten, um seine neueste Arbeit zu bewundern. Das Glas war ideal für das Fenster, das er für sein Privatgemach anfertigen wollte – den Raum, den er sich mit seiner Braut teilen würde.
Seine Braut. Er wusste so gut wie nichts über Isobel, und doch kehrten seine Gedanken immer wieder zu ihr zurück.
In ihren Augen sah er ihre Ängste und die Misshandlungen, er erkannte die Schatten, die in ihren Tiefen lauerten. Ein Teil von ihm fühlte sich mit ihr verbunden, hatte Mitleid mit ihr, wollte ihr helfen. Und das war der Grund, warum er sich von ihr fernhalten sollte. Sie würde ihm letztlich nur Ärger bereiten. Aber tat sie das nicht schon jetzt?
Er fuhr über die Stelle, an der ihn der Pfeil des unbekannten Angreifers getroffen hatte. Wäre ihm nicht immer wieder Brahans Warnung durch den Kopf gegangen und hätte er daraufhin nicht sein Kettenhemd angezogen, dann wäre er jetzt tot, so wie Brahan es vorausgesagt hatte.
Einmal mehr hatten die Fähigkeiten seines Freundes ihm einen Vorteil gegenüber seinen Feinden verschafft und es ihm ermöglicht, den Ausgang eines Ereignisses zu
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