Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
Zögerlich hielt sie es an die Lippen und begann zu blasen, doch das Glas änderte sein Aussehen nicht.
Wolf lachte und begann, das Rohr in ihren Händen zu drehen, damit das Glas nicht nach unten wegknicken konnte. »Es ist schwieriger, als es aussieht. Versuch es nochmal, und dann atme von hier.« Dabei legte er ihr eine Hand auf den Bauch.
Bei diesem intimen Kontakt schnappte sie unwillkürlich nach Luft, zugleich lief ihr ein Schauer über den Rücken. Die Luft im Raum knisterte förmlich, so bewusst nahm sie durch den dünnen Stoff seine Berührung wahr.
»Blasen«, forderte er sie auf, ohne die Hand wegzunehmen.
Sie atmete tief ein, so dass sie seine Finger auf ihrem Bauch noch deutlicher spürte. Dann atmete sie kräftig und gleichmäßig aus, und diesmal veränderte die Blase ihre Form, wuchs etwas weiter und glitzerte im Schein der Flammen ein durchsichtiges, wie flüssig wirkendes, zeitloses Kunstwerk.
»Wunderschön«, flüsterte er, nahm seine Hand von ihrem Bauch und griff nach dem Rohr, um das gläserne Objekt auf einen Steinblock seitlich am Ofen abzusetzen. Mit flinken Bewegungen rollte er das Glas gegen den Stein und wandte gerade den richtigen Druck auf, um eine Kugel entstehen zu lassen. »Würde ich ein Fensterglas herstellen, dann hätte ich die Blase unten aufgeschnitten und das Rohr im Kreis bewegt, um einen flache, runde Scheibe entstehen zu lassen. Aber ich möchte stattdessen ein Gefäß schaffen, darum muss das Glas ruhen, bis es eine Art Haut bildet und fest wird.«
Beim Anblick der Glaskugel kehrten Isobels Gedanken zurück zu seinem Baumhaus, das er ihr im Wald gezeigt hatte. »Du hast auch all die kleinen Glaskugeln im Baumhaus geschaffen«, wurde ihr auf einmal bewusst und sie fühlte sich vor Ehrfurcht tief beeindruckt.
Er lächelte sie an und ließ damit die Dunkelheit im Turm fast vollständig verschwinden. »Aye. Irgendetwas musste ich mit ihnen machen, immerhin lagen sie mir hier bereits im Weg, weil es so viele waren.« Er konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit und drückte das Glasobjekt gegen den Stein, um ihm Form zu geben. Die Anspannung, die sonst immer ein wenig in seinem Blick lag, ließ sichtbar nach. Er strahlte völlige Ruhe aus, während er das Glas formte, damit es eine Gestalt annahm, die bis dahin nur in seiner Fantasie existiert hatte.
Ihr Blick wanderte von dem Glas über seine Hände zum Spiel seiner Armmuskeln, die deutlich erkennen ließen, dass dieser Mann ein Krieger war. Doch in ihm schlummerte auch eine künstlerische Seite, die in diesem Augenblick zum Vorschein kam. Das machte ihn zu einem ganz anderen Mann im Gegensatz zu denen, die sie von der Insel kannte, die nur laut und rau sein konnten und denen es stets einzig um ihr Vergnügen ging.
Auch darin unterschied er sich von ihnen, denn anstatt auf sein eigenes Vergnügen bedacht zu sein, hatte er sich intensiv darum bemüht, vor allem ihr Lust zu bereiten, als sie in seinem Bett lag.
Er stand auf und humpelte zu dem kleinen Fenster, um den Laden zu öffnen. Ein Sonnenstrahl traf auf das blassgrüne Glas, das sie gemeinsam geschaffen hatten, und verteilte das farbige Licht im Gemach. Sie sah Wolf ins Gesicht. »Es ist wunderschön.« Das Gefühl, Zeuge eines Wunders zu werden, erfasste sie und ließ sie glauben, dass sie genauso funkelte und strahlte wie das Licht um sie herum.
»Schönheit existiert in vielen verschiedenen Formen«, erklärte er, als er sich wieder dem Ofen zuwandte und nach etwas griff, das aussah wie eine kleine eiserne Schaufel. Behutsam fegte er das Holz zur Seite und sammelte dann einige rotglühende Kohlen ein, um sie in einen kleineren Ofen gleich darüber zu legen, der Isobel bislang gar nicht aufgefallen war. Dort ordnete er die Kohlenstücke in einem Halbkreis an, in dessen Mitte er die gläserne Kugel legte. Mit einer Hand griff er nach einem Werkzeug, das einer Feile glich, und schlug einmal kräftig gegen das Rohr, damit sich das gläserne Objekt von ihm löste. »Das Glas darf nicht zu schnell abkühlen«, machte er ihr klar und legte die Geräte weg. »Wenn das Feuer allmählich erlischt, wird das Glas langsam härter.«
»Wo hast du das gelernt?«, fragte sie prompt, um die Unterhaltung auf ein anderes Thema zu lenken.
»In Italien. Von einem dortigen Meister seines Fachs.«
»Bist du oft dort?« Das Licht erfasste sein Gesicht und beschien die ausgeprägten Wangenknochen, während es seine dunkelbraunen Augen leuchten ließ. Wieso nur war ihr bislang
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