Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
waren zufrieden, bis sie versuchten, ihre Hälfte des Steins zu benutzen. Mit einem Mal waren die Visionen flüchtig und schwer zu deuten. Die Seher, die die Steine benutzten, starben entweder bei dem Versuch, oder sie alterten im Laufe weniger Augenblicke gleich um Jahre. Angst machte sich breit, und man begann, die Steine zu verabscheuen, anstatt sie zu begehren. Unbedeutendere Mitglieder der Familien gelangten in den Besitz der beiden Hälften, da ihr Überleben nicht von so großer Bedeutung war, standen sie doch in der Linie der Thronfolger ganz am Ende.«
Die Bemerkung versetzte Wolf einen Stich. Als unehelicher Sohn des Königs war auch er nicht von großer Bedeutung, wie sein Vater es ausgedrückt hatte. Doch das war zwischen ihnen beiden nie ein Problem gewesen. Ihm war es vielmehr darum gegangen, von seinem Vater akzeptiert zu werden -; ein Wunsch, der bis heute nicht in Erfüllung gegangen war.
Der König redete weiter, ohne etwas davon zu bemerken, welche Wirkung seine Worte auf Wolf hatten. »Ich wusste immer, wo sich die Stewart-Hälfte befand, aber erst vor kurzem habe ich etwas über die Balliol-Hälfte in Erfahrung gebracht. Sie war viele Jahre lang unauffindbar, doch dann fanden meine Spione heraus, welcher Zweig der Balliol-Familie in den Besitz des Steins gelangt war.«
»Und du glaubst, ich hätte diese andere Hälfte? Wieso? Ich bin kein Balliol.«
»Du nicht«, gab der König hämisch grinsend zurück. »Aber deine Frau ist eine Balliol.«
Seine Frau? Isobel? Zorn kochte in Wolf hoch. »Zum Teufel mit dir.« Dann presste er die Lippen zusammen, um keinen der Flüche auszusprechen, die ihm auf der Zunge lagen. »Meine Ehe mit Isobel«, brachte er heraus. Ein weiteres Mal hatte sein Vater ihn für seine eigenen Absichten benutzt. Eine Balliol? Unmöglich. Oder nicht? Was hatte sie ihm sagen wollen, kurz bevor er sich auf den Weg hierher machen musste?
Der König zuckte gelassen mit den Schultern. »Es war notwendig, damit ich die andere Hälfte des Steins in meinen Besitz bringen kann.«
»Und bei deinem Plan war dir völlig egal, was das für mich oder für Isobel bedeuten würde?«
»Du brauchtest eine Ehefrau«, antwortete er und kniff dabei die Augen zusammen. »Ich habe dir eine Ehefrau gegeben. Mir schien es wichtiger, die beiden schottischen Häuser zu vereinen, als auf deine Gefühle Rücksicht zu nehmen.«
Wolf verschränkte die Arme vor der Brust. »Jetzt kommt die Wahrheit ans Licht.«
»Ich tat, was ich tun muss.«
»Und warum willst du diesen Stein wirklich haben?«, fragte Wolf aufgebracht, konzentrierte seine Wut dabei aber auf den Stein, nicht auf die Frage, wen er da eigentlich geheiratet hatte. Darüber konnte er sich später immer noch Gedanken machen.
»Weil Grange ihn haben will. Bekommt er ihn, dann wird er die Macht des Steins gegen mich richten.«
»Also bekämpfst du die Angst, indem du mehr Angst erzeugst. Ist das richtig?«
Die Miene des Königs versteinerte sich, so wie es immer der Fall war, wenn Wolf einen Schritt zu weit gegangen war. »Du weißt nicht, was es bedeutet, ein Land zu führen.«
»Das mag sein. Aber ich weiß, was es bedeutet, wenn meine Männer mich respektieren und hinter mir stehen, weil ich ihnen vertraue, und nicht etwa, weil sie Angst vor mir haben.«
Der König sah ihn mit kalten, abweisenden Augen an. »Dann kann ich ja darauf vertrauen , dass du nichts dagegen einzuwenden hast, diesen Respekt und Rückhalt deiner Männer zu nutzen, um Grange zu überrennen.«
»Dir ist es gelungen, mich herzulocken, aber das heißt noch lange nicht, dass ich deshalb auch mit dir in den Kampf ziehe«, konterte Wolf.
»Du wirst mit mir in den Kampf ziehen, mein Junge. Denn wenn du das nicht tust, wird deine hübsche junge Braut diejenige sein, die für deinen Starrsinn bezahlen muss.«
Wolfs Magen verkrampfte sich. »In meiner Burg ist sie in Sicherheit. Dort kannst du ihr nichts antun. Da musst du dir schon eine andere Drohung einfallen lassen, altes Triefauge.« Das Gesicht des Königs lief rot an, als er den verhassten Spitznamen hörte. »Sicherheit ist nur eine Illusion. Sogar jetzt, während wir uns hier unterhalten, ist deine Braut in Gefahr.«
»Das würdest du nicht wagen …»
»Ich baue darauf, dass du mich zusammen mit deinen Männern unterstützen wirst, um meinen Feind zu schlagen.«
»Wer ist es?«, fauchte Wolf ihn giftig an. »Wen hast du eingeschleust, damit er mich täuscht?«
»Das ist nicht wichtig.«
»Wer ist es?«
Weitere Kostenlose Bücher