Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
hatte. Männer, die am Boden gelegen hatten, als er sich ihrer annahm. Männer, die neuen Lebensmut gefasst hatten, weil sie durch ihn eine zweite Chance bekamen.
Diese Männer jubelten ihm zu, als er an ihnen vorbeiritt, und winkten ihm mit ihren Schwertern, Schilden und Lanzen zu. Der polierte Stahl der Klingen reflektierte das erste Licht des neuen Tages. Jeder dieser Männer war stolz darauf, Wolf dienen zu dürfen.
Und er war im Gegenzug stolz auf sie, auf diese guten, loyalen Männer, die es nicht verdienten, ihr Leben aufs Spiel setzen zu müssen, nur weil sein Vater sich an Grange rächen wollte. Doch wenn er sie nicht in diese Schlacht führte, dann würde Isobel sterben.
Die Truppen des Königs waren wiederum hinter Wolfs Kriegern aufgestellt, wo sie eine regelrechte Mauer aus Soldaten bildeten, manche zu Pferd, viele zu Fuß, alle bis an die Zähne bewaffnet und bereit, endlich in den Kampf zu ziehen. Auf einem Hügelkamm gingen sie in Stellung, vor ihnen fand sich in das Tal eingebettet Granges Lager. Vereinzelte Rauchfahnen zeigten an, dass das Lager auch genutzt wurde, doch rings um die Zelte und bei den Feuern am Lagerrand war keine Menschenseele zu entdecken.
Diese Beobachtung ließ Wolf nur noch wachsamer werden. Er versuchte, Artemis darauf hinzuweisen, doch der nahm davon keine Notiz. Schon als er am Morgen Wolf von den Fesseln befreit hatte, machte er ihm deutlich, dass er keine Einmischung dulden würde.
Wolfs Pferd trat unruhig auf der Stelle, da sich das Unbehagen vom Reiter auf das Tier übertrug. Er legte eine Hand an den Hals des Pferds, um es zu beruhigen. Warum nur merkte sein Vater nichts davon, dass hier etwas nicht stimmte.
Der ritt an den Reihen der Krieger entlang, löste aber nicht annähernd so viel Begeisterung aus wie Wolf vor ihm. Sie brachten dem König Respekt entgegen, mehr jedoch auch nicht. Und sie warteten geduldig auf seinen Befehl, gegen das Lager im Tal vor ihnen vorzurücken. Geduldig, wenn auch nicht mit jenem Tatendrang, der nötig war, um einen Sieg zu erringen.
Mit Schrecken wurde Wolf bewusst, dass diese Männer nicht auf einen Kampf vorbereitet worden waren. Wenn sie jetzt dem Feind gegenübertraten, dann würde das keine Schlacht, sondern ein Massaker geben.
Er ließ den Blick zu seinen Leuten wandern, die kampfbereit dastanden und nur darauf warteten, wann er ihnen mit einer fast beiläufigen Geste den Befehl zum Angriff gab. Er betrachtete ihre Gesichter, während er spürte, wie die Hand des Schicksals ihn in einen unerbittlichen Griff nahm. Diese Männer waren bereit, ihr Leben für ihn zu geben. Aber konnte er das von ihnen verlangen, nur damit eine einzelne Frau überlebte? Zudem noch eine Balliol?
Isobel würde sterben, wenn er nicht in den Kampf zog. Walter hatte den Befehl erhalten, sie zu töten. Doch würde er das tatsächlich tun? Hatte er sich in den Jahren, die sie beide voneinander getrennt gewesen waren, wirklich so sehr verändert, dass er zu einer solchen Tat fähig war?
Warum hatte sein Bruder ihm nicht genügend vertraut, um ihm von der wahren Absicht ihres Vaters zu berichten? Was konnte der gegen Walter in der Hand haben, damit er sich gegen seinen leiblichen Bruder wandte?
Sie waren beide hintergangen worden. Rückblickend wurden Wolf alle Anzeichen bewusst. Walters eigenartiges Verhalten, seine ablehnende Einstellung Isobel gegenüber … all diese Dinge ergaben nun einen Sinn. Ihr Vater hatte diese Absicht bereits verfolgt, noch bevor er Walter in den Kerker steckte. Isobels Leben konnte nur gerettet werden, wenn Walter sich über einen Befehl des Königs hinwegsetzte. Aber würde sein Bruder das tun? Wolf ballte die Fäuste. Er konnte längst nicht mehr einschätzen, wozu Walter in der Lage war, aber letztlich musste er darauf vertrauen, dass sein Bruder sich doch auf seine Seite schlagen würde. Es war eine Hoffnung, an die Wolf sich klammerte wie an eine Rettungsleine auf einer stürmischen See.
Dann kehrte er wieder in die Realität zurück. Wie konnte man einen Kampf vermeiden, der zum Scheitern verurteilt war? Wenn es zu diesem Kampf kam, würden seine Männer sterben. Wolf streichelte erneut den Hals seines Pferdes, diesmal jedoch, um seine eigene Unruhe in den Griff zu bekommen.
Er würde seine Männer nicht grundlos in Gefahr bringen. Und wenn er den Kampf verweigerte? Würde sein Vater die Truppen auf seine Männer hetzen? Wartete etwa so oder so der Tod auf sie? Als er zu Brahan sah, bemerkte er sofort, wie der
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