Der Seitensprung
jede Spur von Vertrauen, Glauben und Zuversicht.
Linda!
Es war Linda.
Alles, woran sie geglaubt und worauf sie vertraut hatte, erwies sich plötzlich als eine weitere Lüge, als ein neuer Verrat. Diese Frau, die eben so behütend dagesessen und ihre Lippen an den Kopf ihres Sohnes gepresst hatte, die sie eben getröstet und der sie gesagt hatte, es sei nicht ihre Schuld, die war es, sie war diejenige, die ihre Familie zu zerstören trachtete. Wie eine Amöbe hatte sie sich in ihr Leben eingeschlichen und ihre Absichten hinter falscher Fürsorglichkeit verborgen.
Ihr ganzes Dasein, das ihr so vertraut und unerschütterlich erschienen war, hatte sich plötzlich in eine Falle verwandelt. Woran sollte sie sich festhalten? Worauf konnte sie sich noch verlassen?
Wie lange dauerte das schon an? Wusste es noch jemand? Vielleicht wussten es alle Eltern. Nur sie selbst, die arme verschmähte Mutter von Axel, schwebte in Ungewissheit darüber, dass ihr Mann ein heimliches Verhältnis mit der Kindergärtnerin hatte.
Die Erniedrigung nahm ihr alle Lebenskraft.
»Mama, komm jetzt!«
Sie sah sich um, nicht mehr wissend, wo sie sich befand. Das Geräusch eines näher kommenden Autos, das abbremste. Jakobs Mutter kurbelte die Scheibe herunter.
»Hallo, wollt ihr nach Hause? Ihr könnt mitfahren, wenn ihr möchtet.«
Wusste sie etwas? War sie eine von den Eingeweihten, die ihr hinter ihrem Rücken mitleidige Blicke zuwarfen?
»Nein.«
»Bitte, Mama, können wir nicht?«
»Wir gehen zu Fuß.«
Eva erwiderte kurz ihren Blick, nahm Axels Hand und zog ihn mit sich. Jakobs Mutter holte sie ein.
»Du, übrigens, die Elterngruppe muss bald zusammenkommen, um dieses Steinzeitlager im Kindergarten zu organisieren. Wie passt es dir diese Woche?«
Antworten war nicht möglich, es gab keine zur Verfügung stehenden Worte. Sie beschleunigte ihre Schritte. Fünf Meter bis zur Abkürzung durch den Park. Ohne zu antworten, bog sie ab und trieb Axel auf dem Pfad vor sich her. Hinter sich hörte sie den Wagen im Leerlauf verharren und dann weiterfahren.
Linda. Wie alt mochte sie sein? Siebenundzwanzig, achtundzwanzig? Kinder hatte sie nicht, das wusste sie. Und nun war es ihr gelungen, einen der Väter von den Kindergartenkindern zu verführen, ohne die geringste Ahnung davon zu haben, was es hieß, die Verantwortung für ein anderes Leben zu tragen.
Sie betrachtete den kleinen Körper vor sich. Fröhliche rote Regenhosenbeine, die zu laufen begannen, als sie sich ihrem Haus näherten.
Sie blieb stehen.
Axel rannte das letzte Stück und verschwand durch die Haustür. Ihr Sohn im selben Haus wie der Verräter. Das feige Schwein, das nicht einmal den Mut aufbrachte, für den Betrug geradezustehen.
Was er getan hatte, war unverzeihlich. Sie würde es ihm nie im Leben vergeben.
Nie.
Im Leben.
ZUM ERSTEN MAL seit zwei Jahren und fünf Monaten würde er den Abend nicht im Karolinska-Krankenhaus verbringen. Der Zorn darüber, dass Anna ihn im Stich gelassen hatte, hatte ihn noch immer fest im Griff, und er würde es ihr ganz gewiss zeigen. Sollte sie doch allein dort liegen und überlegen, wo er war. Morgen würde er ihr erzählen, dass er in der Kneipe gewesen war und sich amüsiert hatte. Dann würde sie es bereuen, einsehen, dass sie ihn auch verlieren konnte. Wenn sie sich nicht zusammenriss, würde er sich vielleicht so verhalten, wie man es ihm nahe legte. Loslassen und weitergehen. Dann könnte sie dort liegen und vermodern, ohne dass sich jemand um sie kümmerte.
Dieses Monster von Psychologin hatte ihn überredet, sich auf ein weiteres Gespräch einzulassen. Es war die einzige Chance gewesen, sie loszuwerden, und das war in dem Moment absolut notwendig. Anna hatte nicht das geringste Bedauern darüber gezeigt, dass sie ihn im Stich gelassen hatte, und der anwachsende Zwang hatte ihn rasend gemacht. Doch dann hatte er sie dazu gebracht, ihn zu verstehen, und der Zwang hatte wieder nachgelassen.
Er war zu Fuß ins Stadtzentrum gegangen. Hatte das Auto vor dem Haus abgestellt und seinen Spaziergang begonnen, ohne die Wohnung zu betreten. War dem Weg entlang der Årstabucht gefolgt und dann über die alte Skanstullbrücke nach Söder marschiert. Auf der hügeligen Götgatan passierte er eine Kneipe nach der anderen, doch bereits ein einziger Blick durch die großen Fensterscheiben ließ ihn seinen Weg fortsetzen. So viele Menschen. Obwohl es ein gewöhnlicher Donnerstag war, drängten sich überall Massen von Leuten, und
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